Kapitel Vier


 

Die Flucht in die Diaspora


 

Die Flucht in eine Fremde Welt, die einem persönlich nicht bekannt ist fällt den Vertriebenen nicht immer leicht, aber leider auch in Heutigerzeit, in einer Zeit in der die Menschen technisch viele Fortschritte gemacht haben und mit großen Schritten entgegen der Globalisierung marschieren, werden immer wieder Gründe für die Flucht von Menschen und ganze Völkern ins Ungewisse geschaffen.

Wie man es an dem Beispiel von Êzîdî sieht, werden Menschen wegen ihrer Andersdenken, Andersgläubigkeit, Rasse und auch wegen der Hautfarbe, seit tausende von Jahren systematisch verfolgt und vertrieben, bis sie gezwungen sind, entweder aus ihre eingestammte Heimat zu fliehen oder sie werden getötet. Wie die oben aufgeführten Gründe zeigen, kann jeder Mensch von anderen Mitmenschen verfolgt werden, dabei suchen die Täter Gründe und diese solange bis sie einen gefunden haben und wenn keine Gründe existieren, dann werden sie erfunden, aber häufig müssen nichtmall neue erfunden werden. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, werden selbst uralte Differenzen, die jeden bekannt sind und auch jahrhundertlang toleriert wurden urplötzlich als Argumente geltend gemacht und somit eine Terrorwelle gegen eigene Mitmenschen ausgelöst. Dazu kann man nur an die Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit denken. Man denke an den Volkermord an den Armenier, Êzîdî und andere christliche Gruppen in der Türkei, die in den Jahren 1915 bis 1918 ihren grausame, blutigen und tragischen Höhepunkt fanden, und der darauffolgende nicht mindertragische Verfolgung und Vernichtung von Juden und anderen Völker in Europa, wie Sinti und Römer, seitens der Nazis unter der Hitler Diktatur in Deutschland (1939 bis 1945).

Wehrend diese Beispiele teilweise zeitlich begrenzt waren, ist es bei den Êzîdî anders. Bei ihnen handelt es sich um eine über Jahrhunderte hinweg andauernde Verfolgung. Gelegentlich haben auch die europäische Reisende darüber nach der Rückkehr in Europa berichtet.

 Bereits, bevor die Êzîdî selber nach Europa immigrierten, waren sie den Europäern wenigstens namentlich bekannt, spätestens durch die Romane von Karl May (“Durchs wilde Kurdistan“ und “Die Wüste“ etc.) Auch durch die Reiseberichte mancher Missionare, Archäologen bzw. Abenteuerreisender waren sie bekannt geworden. Beispielsweise Austen Henry Layard: („Babylon und Niniveh“ und  “Auf der Suche nach Ninive“; Carsten Niebuhr: Entdeckungen im Orient 1761- 1767 etc.).

 

Die Flucht


 

Wenn ein Tier sich bedroht fühlt rennt und versucht, in dem Moment, gleichzeitig ein Versteck zu finden. Sobald es eine geeignete Stelle findet stürzt sich darein ohne zu ahnen, was sie dort erwartet. Ob es sich in eine vielleicht größere Gefahr stürzt oder auch nicht interessiert es in dem Moment nicht. Wenn sich darin ein anderer Feind aufhält oder nicht fällt ihr in dem Moment nicht ein. Wenn das Versteck leer ist, dann hat es vielleicht Glück und wenn nicht, dann Pech gehabt.

Bei den Menschen ist es im Prinzip nicht anders. Es gibt nur einen Unterschied zwischen Mensch und Tier. Wehrend das Tier erst flieht und dann nach einem Versteck sucht, kennen die Menschen gewöhnlich ihre Verstecksmöglichkeiten und laufen zielstrebig darauf zu mit der Hoffnung, dass die Feinde ihnen nicht folgen werden. Diese Verstecke können  entweder Berghohlen sein, die in den umliegenden Wäldern um ihr Wohngebiet liegen oder befinden sich diese am Haus in dem sie leben. Über die Lage und Beschaffenheit von diesen Verstecken wissen bzw. wüssten möglichst nur die Verfolgten Bescheid.

So war es seit Jahrhunderten auch bei den Êzîdî nicht anders.

Dazu auch Karl May (Die Wüste)

 

»Hier kommt man durch den Wald nach Scheikh Adi, aber nur ein Jasidi kennt den Weg. Und hier links geht es in das Tal hin­unter. «

Er schob die Büsche auseinander. Nun sah ich vor mir einen wei­ten Talkessel, dessen Wände steil anstiegen und zum Auf- und Niedersteigen nur die eine Stelle boten, an der wir uns befan­den. Wir kletterten hinab, die Pferde am Zügel führend. Unten konnte ich das Tal in seiner ganzen Breite überschauen. Es war groß genug, um mehreren Tausend Menschen eine Zuflucht zu bieten. Verschiedene Höhlenöffnungen ließen vermuten, daß hier vor nicht langer Zeit schon Leute gewohnt hatten. Die Sohle des Talkessels war mit einer kräftigen Grasnarbe überzogen. Einige in den Boden gegrabene Löcher enthielten Trinkwasser genug für viele durstige Kehlen.

Wir ließen die Pferde weiden und legten uns ins Gras.

»Das ist ein Versteck, wie die Natur es nicht praktischer anlegen konnte!« Sagte ich zu Seleks Sohn.

»Es hat diesem Zweck auch schon gedient, Effendi. Bei der letz­ten Verfolgung der Jesidi haben über tausend Menschen hier Si­cherheit gefunden. Darum wird kein Angehöriger unsers Glau­bens diesen Ort verraten. Man weiß ja nicht. Ob man ihn wieder brauchen wird.«

»Das scheint jetzt der Fall zu sein.«

 

In der Tat  es gab Wege und Verstecke in den kurdischen Bergen, in denen sich die Êzîdî beim Bedarf versteckten und diese nur ihnen bekannt waren.

Was ist aber, wenn diese Verstecke nicht mehr sicher sind? Wohin werden Menschen gehen und wo werden sie sich vor ihren Verfolgern verstecken?

Die Gründe können hierfür vielfältig sein, zum Beispiel:

1.    Die altbewährten Verstecke haben nicht mehr genügend Platz für alle Flüchtlinge.

2.    Die Verstecke sind mittlerweile auch den Feinden (Verfolger) bekannt.

3.    Die Verstecke sind nicht mehr sicher, weil ihre Feinde sie mit Hilfe neue und moderne Waffen auch aus der Luft angreifen kann und dabei auch Giftgas einsetzen. Wie es gegen die Kurden im Irak bereits der Fall gewesen ist. – Man denke hierbei an die kleine Kurden-Stadt Halabja, im Nordirak. Diese kleine Stadt wurde am 16./17. März 1988 von irakischen Regime aus der Luft mit Giftgas bombardiert, dabei wurden mehr als 5000 Menschen getötet

In solchen Fällen bleiben den Menschen nichts anderes außer der Wahl zwischen dem Tod und der Fluch, was ihre Heimat für immer verlassen bedeutet. Das ein gesunder Menschenverstand die letzte Möglichkeit vorziehen wird ist keine besondere Begründung schuldig. Wenn der Mensch die Möglichkeit dazu hat, wird er sich einen sicheren Flüchttort suchen. Dabei wird er sicherlich nicht den bestmöglichen Ort unter vielen auswählen können.

Vor solch einer Situation haben auch die Êzîdî spätestens seit 70er Jahren gestanden. Man kann möglicherweise die erste Êzîdî, die die Gelegenheit nutzten, die sich durch anwerben von Gastarbeitern aus der Türkei anbot, um auf diese weise nach Deutschland zu kommen, im engeren Sinne als Vorboten bezeichnen, die auf der Suche nach einem geeigneten Fluchtort für alle Verwandten waren.

Die Ersten Êzîdî sind, wie bereits erwähnt, in den 60er Jahren nicht als Flüchtlinge, sondern als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. Wenige Jahre später kamen bereits auch die ersten ezidische Flüchtlinge nach Deutschland. Diese waren zunächst alle einzelnen (männliche) Personen, die entweder ihre Familie zurückgelassen hatten oder auch noch ledig waren. Sie sind, fast alle, wieder abgeschoben worden. Bis 1984 waren bis auf wenige alle anderen wieder zurückgeschickt worden. Die abgeschobenen Êzîdî waren ihrerseits auch nicht mehr an einen zweiten Versuch interessiert, aber bald mussten sie feststellen, dass sie sich irrten, weil ihnen keine bessere Altarnative übrig blieb.

Im August 1984 brach der Burgerkrieg zwischen den Kurden und der türkischen Militärregime aus. Dieser Krieg dauert noch an und hat bis jetzt auf beiden Seiten mindestens 30000 Menschenleben gefordert, ca. viertausend Dörfer sind zerstört worden und mehrere Millionen Menschen, kurdischer Herkunft in die Flucht getrieben. Also, die Êzîdî sahen sich in einer Klemme und sie wären auf jedem Fall als Verlierer hervorgegangen, wenn sie bald nicht flüchten würden. Aber wohin?

Die Êzîdî befanden sich sprichwörtlich zwischen zwei Fronten. Sie könnten sich unmöglich neutral verhalten. Wenn sie sich für die kurdische Seite entschieden hätten, dann wären sie für die türkischen Soldaten, die für ihre Grausamkeiten gegen die Zivilisten eine traurige Berühmtheit genießen, vogelfrei. Und wenn sie sich für die türkische Seite entschieden hätten, dann wären sie als „ungläubige Verräter“ erklärt und die PKK geht mit solchen „Verrätern“ nicht weniger brutal und erbarmungslos um, als ihre Gegner, die Türken.  

Viel Zeit um einen geeigneten Fluchtort zu suchen blieb ihnen nicht übrig. Die Jüngeren würden von dem türkischen Staat zur Musterung berufen und die Kurden warben, auf ihrer Art, um Krieger gegen den „Feind“. Also, diese Jüngeren müssten bald verschwinden, fliehen. Die Älteren sind, trotzt die immergroßer werdende Gefahr, zurückgeblieben, um möglichst gewährleisten zu können, dass im Falle einer erneuten Abschiebung die Jüngeren wieder in ihre Dörfer zurückkehren können. Die Flüchtlinge erkannten Europa als der sichere Fluchtort und sie flüchteten deshalb in dieser Richtung. Ihr größter Wunsch war es ungeschadet wieder dorthin zu gelangen. Da Deutschland aus den erstgenannten Gründen ihnen am bekanntesten war, sind auch die meisten nach Deutschland gekommen. Sie waren sich darüber im Klaren, dass Deutschland sie nicht mit öffne Armen aufnehmen wird, - schließlich hatten manche von ihnen bereits eine Abschiebung hinter sich gehabt- Aber eine bessere Alternative war ihnen nicht bekannt.

In der Tat fing für sie ein Kampf zwischen langsam mahlenden Bürokratiemühlen und nervenzereisende Duldsamkeiten. Während die deutsche Regierung eine schwierige Entscheidung zwischen menschliche Prinzipien, die sie sich wegen eigener tragischen Vergangenheit verpflichtet sah Verfolgten Schutz zubieten, und der Freundschaft mit der Türkei, die auch seit Jahrhunderte ihre Partnerin in militärischen Interessen war und noch ist, treffen müsste, müssten auch die Betroffenen geduldig warten. Ihnen blieb auch in dieser Zeit außer den Weg zwischen Haus - Behörde und Haus - Anwalt, keine andere Freiheit. Ihnen war es auch strengstens untersag/ verboten zu arbeiten. Ihnen war auch verboten ohne eine Genehmigung von der Behörde ihr Wohngebiet zu verlassen, auch wenn dies zu einem Kurzbesuch bei Verwandten diente, die in anderen Städten in Deutschland lebten.  

Deutschland hatte sich auf Grund ihrer jüngsten Vergangenheit und zwar wegen der Verbrechen, die das Nazi-Regime in den Jahren 1939 bis 1945  (2.Weltkrieg) begangen hatte, verpflichtet allen politisch Verfolgten Asyl zu gewähren. (Art. 16 Abs. 2 des GG). Für die Êzîdî traf dies zu, aber sie kamen aus einem befreundeten Land und diese Freundschaft wollte man nicht auf die Probe stellen.

Wehrend die Bundesrepublik Deutschland sich, aus welchen Gründen auch immer, auf einen zeitintensiven Antragsbearbeitung eingestellt hatte, wurde die Lage für die Êzîdî, die noch in der Heimat waren immer bedrohlicher. Hier einige Beispiele:

 

·      Am 09. Dezember 1989 ist das Dorf Denwan gegen Abenddämmerung von mehreren mit Maschinengewehren bewaffneten Personen heimgesucht worden. Sie haben das Dorf mehrere Stunden unter Beschuss gehalten. Dabei haben sie zwei Männer, Xellîl Kurt (über 60 Jahre alt) und Silo Çiftçi (etwa 35 Jahre alt) getötet und eine Frau, die Menife Çakar heißt (etwa 35 Jahre alt) schwer/ lebensgefährlich verwundet. Zunächst wurden einige kurdische Nomaden beschuldigt und festgenommen und mit ihnen auch einige Kalaschnikows, die man zunächst als Mordwaffen hielt. Aber die Ballistik hat bewiesen, dass die am Tatort gefundenen 40 Patronenhülsen nicht zu den beschlagnahmten Waffen gehörten. Der Ehemann von Menife, der ebenfalls unter Beschuss genommen wurde und die Täter dabei auch gesehen hat, sagte später, dass die Täter, der Bekleidung nach, Özeltims waren (Spezialtim, die auch in Deutschland GSG9 ausgebildet werden um gegen die Terroristen, in diesem Falle offiziell gegen PKK,  zu kämpfen). Von den Tätern hat man bis heute keine Spür.

Einer von dem Opfer, Silo Çiftçi war einer von denen, die in den 70er Jahren in die Bundesrepublik Deutschland geflüchtet waren und aufgrund der Ablehnung seines Asylantrags wieder in die Türkei zurück musste.

Nach diesem schrecklichen Massaker haben die übrigen eiligst ihre Besitztümer vertrödelt und sich auf dem Fluchtweg gemacht.

Mehrere Familien sind am 23. März 1990 mit dem Bus von Midyat Richtung Istanbul gefahren um von dort aus weiter nach Europa zu flüchten. Der Bus hat in der Nähe von Adana eines ihren Rastpausen gemacht. Als die Passagiere in einem Restaurant etwas essen wollten ist einer von den Flüchtlingen, Namens Cemil Onal von einem anderen Mitfahrer, den sie nicht kannten erschossen worden.

Cemil war ebenfalls einst beim ersten Versuch in Deutschland mit seinem Asylantrag gescheitert und wurde abgeschoben. Er hat sich von dem Geld, das er von Deutschelan mitnehmen konnte einen Dolmuş (Kleinbus) gekauft und transportierte die Dorfbewohner in die Stadt damit diese ihre Einkäufe tätigen können und er war auch der Notdienstfahrer, wenn jemand dringen zum Arzt musste.

Bis heute keine Spur von dem Täter und auch das Motiv für seine Verbrechen ist nicht bekannt. Man weiß nur, dass er aus Midyat mit ins Bus gestiegen ist und wahrscheinlich auch deswegen, um ihn zu töten.

 

·      Im Mai 1991 kam die zweite schreckliche Nachricht. Und zwar die von einem 14 jähriger Junge, Namens Rustem Kurt, der bei seinen Tieren in der nähe der Pipeline, wo die Soldaten regelmäßig patrouillieren, war, und seit dem Spurlos verschwunden ist. Bis zum Heutigen Tag haben seine Verwandte keine Spur von ihm.

Sein Vater, der mit seiner Frau und ein Teil der Familie als Letzten aus ihrem Dorf noch in Midyat lebten, wurde am 06. August 1994 in Midyat verhaftet und nach Mardin Gebracht, wo sie seine Verhaftung zunächst verleugnet haben, höchstwahrscheinlich, weil sie ihn umbringen wollten, aber erst auf unnachgiebiger Nachfrage der Amnesty international, von Europa aus, gaben sie zu ihn verhaftet zu haben, worauf er später gegen eine hohe Geldsumme freigelassen wurde. Wir könnten ihn und seine restliche Familie dank der beispielslosen Unterstutzung von der Gesellschaft für bedrohte Völker, Herr und Frau Wießner und mit freundlicher Unterstützung der deutschen Botschafter in Ankara nach Deutschland retten. Seine Verletzungen, die er bei den Misshandlungen im Gefängnis erlitten hatte, wurden erst hier von deutschen Ärzten behandelt.      

 

·      Am 12. Oktober 1992 ist dasselbe Dorf wieder von Bewaffneten heimgesucht worden. Diesmal haben die Täter ihren Opfer, Felit Çeker in seinem Haus gestellt und kaltblutig, vor den Augen seiner noch minderjährigen Tochter und ihre Mutter niedergeschossen. Diesmal haben sich die Mörder selber mit einem an anderen Verwandten des Opfers gerichteten Drohbrief gemeldet und bekanten sich zu der Mordtat. Die Täter waren diesmal PKK-Kämpfer. Wenige Wochen später wurde der Cousin von dem Getöteten zur Militärstation in Midyat bestellt. Da er nicht wusste weshalb der Stationskommandant mit ihm sprechen wollte ging er auch unbekümmert und begleitet von dem Muğtar (Dorfbürgermeister) dorthin. Er ist vor den Augen des Muğtars verhaftet worden und nach Mardin gebracht. Am 02.12.1992 wurde er ermordet in der Nähe von Omerli (kurd. Êfşêya Ditax), zwischen Midyat und Mardin, gefunden. Aufgrund der Autopsie erhärteten sich die Vermutungen, dass er im Gefängnis umgebracht/ zu Tode gefoltert wurde. Auch er ein in den 80er Jahren aus BRD. ausgewiesener Êzîdî.

 

·      Am 13. Januar 1993 wurden zwei Kleinbusse, die die Êzîdî und Christen aus den umliegenden Dörfern in die Stadt brachten, damit diese für sich und ihren Familien das Lebensnötige kaufen können, auf dem Rückfahrt von paramilitärischen Einheiten der türkischen Regierung überfallen. Ohne Vorwarnung haben sie mit ihren Maschinengewehren das Feuer auf die Passagiere eröffnet. Dabei wurden fünf Christen und zwei Êzîdî getötet und zehn Menschen schwer verletzt. Unter den Toten waren auch zwei Christen, die seit 25 Jahren in Deutschland, Augsburg lebten. Sie wollten ihre Verwandten in Tur Abdin besuchen.

Das sind die Namen der Getöteten:

- Aziz Kalayci und Yusuf Özbakir aus Augsburg, seit 25 Jahren lebten beide in Deutschland.

- Aydin Aydin aus Xerabê Alê (türk.: Üçyol)

- Isa Koç aus Nihil/ Anhil (türk.: Yemişli)

- Gewriye Durmaz aus Mizîzex (türk.: Doğançay)

- Halil Dede, Miho und Nuriye Kayar aus Xerabya (türk.: Yenice)

Diese Anschläge auf unschuldige Menschen haben kurzeitig die Medien und auch die deutsche Bundesregierung erregt.

 

· Im August 1995 haben die von den Türkei bezahlten und bewaffneten Dorfschützer Hawinê und Hiseynê Girbîyanî den Dorfbürgermeister von Mezrê, Reşit yildiz von zu Hause, mit der Begründung der Kommandant möchte ihn sehen,  abgeholt, er kam nie wieder zurück. Auch seine Leiche hat man bis dato nicht gefunden.

Bericht: Laliş Nr.: 2 (Oktober 1995)

 

· Am 24 August wurde Ali Ağirman aus Bacin von den türkischen Soldaten verhaftet. Am 26. August hat man seine Leiche zusammen mit der einer verstümmelten Leiche eines anderen Unbekannten in einer Höhle zwischen Bacin und Kerşafê gefunden. Die Leichen waren von Bomben zerfetzt gewesen.

 Bericht: Laşiş Nr.: 2 (Oktober 1995)

 

Fremd auf der Erde

 

·  »Bilbilik ji çîyayê kurdistanê girtin û ew kirin rekehek zêrîn û birin Şamê. Ew li wedê di nava Bexçeyekî biheştî de danîn û piştî demekê ji wî pirsîn:

»Bilbilo Şam xweşa anjî welatê te li Çîyayê Kurdistanê?«

Wî got: »Şam şekira lê Warê Bav û Kala he ji wê şêrintira.«

Wan carek din rahişt Bilbil û ew anîn cihê wî ê berê û ew carikdin berdan nava Çiyaye wî.«

 

Übersetzung:

· Man hat einen Kleiber aus kurdischen Bergen in einen goldenen Käfig eingesperrt und nach Damaskus gebracht. Dort hat man ihn, samt Käfig, in einem paradiesischen Garten gestellt. Nach einigen Tagen hat man ihn gefragt: »Was ist schöner, der Paradies-Garten in Damaskus, in der du jetzt lebst oder deine alte Heimat in den kurdischen Bergen?«

»Damaskus ist süß wie Zucker, aber die Heimat der Vorfahren ist noch süßer.« Antwortete der Kleiber.

Sie haben ihn wieder zu der Stelle gebracht, von wo er fortgeschleppt wurde und ließen ihn dort in seine Bergwälder wieder frei.

 

Als ich noch ein Kind war erzählte mir meine Mutter diese kleine Geschichte immer wieder, aber ich kannte ihre wahren Absichten nicht. Ich war noch nie in einem Fremden Land und wusste auch nicht was mir bevorsteht und zwar die Flucht in die Ferne.

Aber die Êzîdî befinden sich weder in einen goldenen Käfig, der in einem paradiesischen Garten hängt noch können sie auf eine baldige Rückkehr in ihre Heimat hoffen.

Wenn manche von ihnen bis jetzt zurückgekehrt sind, dann war das nach dem Ableben und anstelle eines goldenen Käfigs in einer Holzkiste.

Das Land in dem man geboren ist und eigene wahren Wurzeln hat durch die Flucht verlassen zu müssen ist unbeschreiblich und unvergleichlich schmerzhaft. Es ist sehr schwer diesen Schmerz zu zeigen, weil nur derjenige einem verstehen kann, der selber das gleiche erfahren habe.

Dieser Schmerz frist einem von innen auf. Kein Arzt ist in der Lage die Schmerzen zu lokalisieren und richtig diagnostizieren und kein Medikament, das heute käuflich zu erwerben ist, kann diese Schmerzen lindern. Dieser Schmerz ist immer da, auch im Schlaf und in den Träumen.

Keine Freude kann die verkümmerten Herzen wieder erfreuen.

Auch den Tod von jedem Verwandten und Freunden kann man vergessen, weil der Tod etwas natürliches ist, aber die Erinnerungen an die verlorene Heimat bleiben ewig im Herzen, im Gehirn und in der Seele gespeichert. Das liegt nicht daran, dass man nach der Flucht keine schöneren Orte auf der Erde findet, an dem man auch besser leben kann. Nein das liegt daran, dass man seine Heimat verlassen müsste, weil die Anderen es so wollten.

Ein weiterer Grund könnte auch die ewige Angst vor dem sein, dass man auch in der neuen Heimat nicht akzeptiert wird, ewig ein Fremder, ein Eindringling ist und vielleicht auch hier gezwungen wird wegzugehen.

Die verlassene Heimat kann ruhig den Ruf als eine öde, gottverlassene Ortschaft und eine lebensfeindliche Wüste haben, aber wenn man daraus vertrieben wird, dann wird auch kein Paradies sie in dem Herzen von dem Vertriebnen ersetzen können.

Das ist leider eine traurige Selbsterfahrung von mir, und das wünsche ich keinem anderen Menschen auf dieser Welt.    

 

Schlimmer konnte es nicht kommen?


 

»Wek Nokê tu li kewirekîxe her yekî ji me bi Welatekî da çû û em ji hev belabun.«

Wie Kichererbsen, die man gegen einen Felsen schlägt, sind wir in alle Länder der Welt zerstreut worden.

So beschreiben die Êzîdî ihre Flucht selber.

Die weltfremden Êzîdî, die bis dahin in dörflichen Gemeinschaften gelebt haben und außer den Männern, die beim Militär waren, so gut wie keinen Kontakt mit Außenwelt hatten, waren von heute auf Morgen in alle Staaten und Städten der Welt zerstreut. Sie leben heute in fast allen europäischen Ländern: in Deutschland, Niederlande, Belgien, Norwegen, Schweden, Finnland, Frankreich, Italien u. s. w.. Darüber hinaus in Amerika, in Australien, in alle Ursprungsländer, in denen sie immer gelebt haben, wobei in der Türkei ihre Zahl auf weniger als Tausend Leute geschrumpft ist. Ihre Zahl ist in Deutschland mittlerweile auf mehrere Zehntausend gestiegen. Hier leben sie verteilt in mehrere Bundesländer und Großstädten: in NRW hauptsächlich in Ostwestwestfalen Lippe, in Bremen, in Niedersachsen: Hannover und Umgebung, in Oldenburg und in Emsland, im Saarland, in Rheinlandpfalz: bei Speyer, in Ludwigshaffen, in Mannheim, in Gießen in Göttingen und Umgebung u. s. w.. Diese Menschen mussten nun „freiwillig“ vor einem Richter antreten und ihm in einer Sprache, die er nicht versteht, erzählen, warum sie gefluchtet sind und das möglichst so glaubhaft, dass er ihnen glaubt. Sie mussten ihre Flüchtgründe einem Dritten (Dolmetscher) erzählen, der wiederum dem Richter weitererzählt. Dies scheint ganz einfach zu sein. Nun wollen wir erfahren wie einfach oder schwierig das ganze in der Wahrheit war und noch ist.

Die meisten von den Dolmetschern waren Moslems und manche von ihnen auch Kinder von Axas. Sie waren den Êzîdî bekannt und deshalb war es ihnen, psychisch, unmöglich ohne Angst auszusagen, dass sie vor Moslems und Axas gefluchtet sind. Ich mochte nicht, dass der Eindruck entsteht, die Dolmetscher hätten ihre Arbeit schlecht gemacht und die Aussagen der Flüchtlinge absichtlich falsch übersetzt, wenn diese den Ruf ihrer Verwandten beschmutzt haben, aber es ist auch verständlich, wenn  die Menschen, die sich auf der Flucht befinden und nicht wissen, wo sie später leben müssen/ dürfen und können, sehr beängstigt sind und nicht alles, was ihnen später in noch mehr Schwierigkeiten bringen konnte, erzählen wollen und können. Für die Frauen war es unmöglich vor einem fremden Mann, auch wenn dieser ein Richter ist und schon gar nicht, wenn ein Moslem (Dolmetscher) zugegen ist, zu erzählen, warum sie Angst vor Moslems hatte und deshalb flüchten musste. Nur wenige hatten soviel Mut und erzählten manchmal auch was sie selber erlebt haben. Das ganze wurde auch dadurch erschwert, dass sie sich mit den Gesetzen ihrer Gastländer nicht auskannten. Das einzige, was sie bis dahin von dem Gesetzgeber erfahren hatten, war Folter und Misshandlungen. Wie sollte man Angesicht dieser Tatsache einen Richter trauen?

Ihnen quellten einigen Fragen, diese Fragen brachten die Flüchtlinge in Gewissenskonflikten.

· Was werden unsere Feinde mit uns anstellen, wenn wir abgeschoben werden?

· Werden die türkischen Behörden es erfahren, was wir über ihnen z. B. den deutschen Richtern erzählen?

· Bringen wir unsere verwandten, die sich noch in der Heimat befinden durch unsere Aussagen in noch größeren Gefahren?

Diese Fragen und viele andere Gefahren waren weitere Grunde für die Sorgen, die niemand ihnen abnehmen könnte. Diese Sorgen und Ängste setzten die Betroffene unter einen unvergleichlichen Stress, die sie nicht ohne gesundheitliche Schäden verkrafteten. Dieser seelische Stress verursachte bei vielen gesundheitlichen Schäden, die nie wieder kuriert werden konnten. Auch heute leiden viele von ihnen, auch im jungen Alter (ab 25) an chronische Schmerzen, wie: Kopf-, Nacken- und Muskelnschmerzen. Immer mehr ältere leiden unter Schlaganfällen und sterben an Herzproblemen. Auch Krebserkrankungen nehmen bei ihnen zusehend zu.

Die Asylanträge mussten durch drei Instanzen gehen:

· Erstens das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge.

· Zweitens das Verwaltungsgericht

· Drittens das Oberverwaltungsgericht. 

Bis das der Fall war, hatten alle genug Zeit eine Lösung zufinden, die für alle zufriedenstellend war. Die erste Instanz hat zunächst, ihre Pflicht tuend, die Asylanträge der Êzîdî zwar anerkannt, aber gleichzeitig dem Bundesbeauftragten die Möglichkeit eingeräumt dagegen Wiederspruch erheben zu dürfen. Dadurch blieben nur einige wenige Anträge ohne Wiederspruch, wehrend gegen alle anderen der Wiederspruch erhoben worden ist. Die Mehrheit von denen die Hoffnung gemacht wurde, mussten noch geduldig warten. Die Anträge mussten von dem Verwaltungsgericht entschieden werden. Hier wurde zunächst zwischen diejenigen, die ihren Wehrdienst in der Türkei geleistet haben und die übrigen, die diese noch nicht geleistet haben unterschieden. Die Wehrpflichtigen wurden anerkannt und die übrigen abgelehnt und ihnen wurde gleichzeitig mit der Abschiebung gedroht. Auch gegen die anerkannten Anträge hat der Bundesbeauftragte mit der Begründung, dass die Êzîdî “in den Großstädten der West-Türkei eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht“, Wiederspruch gelegt.

Wie das ganze ablief, wollen wir von einem Fachmann, einem Anwalt erfahren.

 

» Analysen


 

Werner Deckmann

Gibt es noch ein Recht auf Asyl

in der Bundesrepublik?

Der Fall der yezidischen Flüchtlinge aus Türkisch- Kurdistan

 

Yezidi kamen hauptsächlich nach Niedersachsen in den Umkreis der Stadt Celle, nach Nordrhein-Westfalen in die Gegend von Emmerich, in das Saar­land und vereinzelt nach Baden- Württemberg, nachdem sie in der Türkei gehört hatten, daß hier schon Yezidi in Ruhe und Frieden ohne Furcht vor Mißhandlungen, Morden, Entführungen ihrer Frauen und Landraub durch Muslime lebten. Die Familien verkauften zum Teil alles, was sie hatten (Vieh, Schmuck der Frauen - deren einzige Alterssicherung), um die Schmiergelder für den Paß und die Flugkarte bezahlen zu können. So kamen zunächst die Männer hier an, arbeiteten fleißig - auch heute bei erzwungener Untätigkeit durch scharfe Asylgesetze noch bei ihren Chefs beliebt, wie deren Nachfragen zeigen -sparten Geld, damit sie auch ihre Frauen und Kinder in die Sicherheit nachholen konnten. Yezidische Frauen und Mädchen sind nämlich Freiwild für Muslime, wie zahllose Vergewaltigungen und Entführungen auch heute noch zeigen. Weil die Männer wußten, daß bei ihren Familien in der Türkei nur noch die alten und gebrechlichen Eltern lebten, hatten sie hier ständige Angst um ihre Familien und holten sie so bald als möglich nach. Oft genug waren auch Polizisten und Soldaten zu Hause erschienen und versuchten, mit Drohungen und teilweise mit Schlägen den Aufenthalt der Männer herauszu­finden.

Hier wurden die Asylanträge vom zuständigen Bundesamt für die Anerken­nung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf bei Nürnberg durchweg abgelehnt. Einige wenige, meines Wissens nicht mehr als zehn, wurden zwar anerkannt, waren aber als Ausrutscher anzusehen und wurden auch nicht rechtskräftig, weil der Bundesbeauftragte der Bundesregierung sofort Einspruch erhoben hatte. Das Bundesamt lehnte Hunderte von Bescheiden ab. Zum Teil waren die Yezidi gehört worden - manche noch nicht einmal in ihrer kurdischen Mut­tersprache, obwohl ich als Rechtsanwalt darauf hingewiesen hatte, daß sie keine Schule besucht hatten und deshalb weder lesen noch schreiben konnten -, andere wurden trotzdem abgelehnt, weil man sich dort auf als unabhängig angesehene Auskünfte des Auswärtigen Amtes stützte, das seit Jahren behauptet, in der Türkei werde kein Yezidi verfolgt und wenn, könne er Schutz bei den Behörden suchen. Teilweise stützte das Bundesamt seine Ablehnungen auf eine Auskunft, die nichts mit Yezidi zu tun hatte; später räumte das Auswärtige Amt ein, kaum Informationen über die yezidische Minderheit zu haben, erklärte aber dennoch munter weiter, Yezidi würden nicht verfolgt. Ein Vorgang, der seine Erklärung wohl nur in der außenpoliti­schen Rücksichtnahme auf den empfindlichen NATO-Partner Türkei findet. Meine Mandanten erzählten mir aus ihrem Leben in der Türkei ganz anderes, was ich auch ans Bundesamt weitergab. Das änderte jedoch nichts, weil dort die Ablehnung der Yezidi wohl unabänderlich feststand, man sie mit den damals zu Tausenden herkommenden türkischen Asylsuchenden verwech­selte, die man für Wirtschaftsflüchtlinge hielt und deshalb zu nahezu hundert Prozent ablehnte und weil man sonst wohl seine Programme in den Schreibau­tomaten hätte ändern müssen. So erhielt ich für von mir vertretene Yezidi Bescheide aus Schreibautomaten die bis auf Name, Adresse, Aktenzeichen und Tag der Antragstellung Wort für Wort identisch waren und nicht auf die unterschiedlichen Schicksale der Yezidi eingingen. Das konnte ich inzwischen auch im Verfahren eines Yezidi nachweisen: Sein Antrag war nämlich mit der stereotypen Begründung abge­lehnt worden, er sei nicht zur Anhörung ins Bundesamt gefahren und habe damit sein Desinteresse an einer Anerkennung gezeigt und zeige damit, daß er selber keine Verfolgung fürchte. Als ich nachwies, daß er doch im Bundesamt gewesen war, fand ich später in der Akte den Vermerk des Sachbearbeiters, daß mein Vorwurf richtig sei und man für den ablehnenden Bescheid im Schreibautomaten versehentlich ein falsches Programm -das mit der Begrün­dung "Desinteresse" (das heißt, nicht zur Anhörung gekommen) -verwendet habe. Als dies herauskam, blieb es bei dem ablehnenden Bescheid, nur die Begründung wurde ausgetauscht. Es war jetzt wieder ein Automatenbescheid ergangen, allerdings mit der Behauptung, Yezidi würden in der Türkei nicht verfolgt. Hier wird Schindluder mit der Verfolgung dieser Minderheit getrie­ben. Diese Schreibautomatenantwort auf Bitten von verfolgten Menschen ist weder mit dem verfassungsrechtlichen noch mit dem geschichtlichen Hinter­grund des Asylgrundrechts in Artikel 16, Absatz 2 des Grundgesetzes zu vereinbaren. Nur wenige Jahrzehnte nach der Verfolgung der jüdischen Min­derheit ist dies eine Verhöhnung aller Verfolgten.

Erstmals aufgehoben wurden diese Mißstände in Niedersachsen durch das Verwaltungsgericht Stade. Dessen 4. Kammer erkannte am 1. September 1982 erstmals einen Yezidi an, nachdem es vorher auch alle Yezidi abgelehnt hatte. Offenbar durch beharrlich zusammengetragenes Material entschloß man sich dann, die Verfolgung der Yezidi genauer zu überprüfen und dazu - erst­mals für ein Asylgericht im Bundesgebiet - selber Zeugen und Sachverständige zu hören. Das war wohl so eindrucksvoll, daß das Gericht abrupt seine Recht­sprechung änderte und Yezidi anerkannte. Andere Verwaltungsgerichte in Niedersachsen erkennen inzwischen auch an, so die Verwaltungsgerichte Osnabrück, Braunschweig und seit kurzem auch Oldenburg. Damit dürften hier in über 130 Urteilen 300 bis 400 Yezidi, einschließlich ihrer Kinder, aner­kannt worden sein.

Dann geschah etwas Einmaliges: Die Rechtsprechung der inzwischen zusätz­lich eingerichteten 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Stade, die von nun an alleine für Yezidi zuständig war, erregte beim Ordnungsamt der Stadt Celle große Aufregung, weil weiter Yezidi anerkannt wurden. Dies schlug in Empö­rung um, als diese Richter vom Januar 1983 an noch nicht einmal mehr die Berufung gegen ihre Urteile zuließen. Auf massiven Druck von der Stadt Celle, die in meinen Verfahren nie von ihrem Recht Gebrauch gemacht hatte, in der Gerichtsverhandlung durch sachdienliche Fragen an klagende Yezidi, Zeugen und Sachverständige die nach ihrer Auffassung nicht gegebene Ver­folgung der Yezidi nachzuweisen (das Bundesamt war in meinen Verhandlun­gen in Stade sowieso nie erschienen), forderte der zuständige Minister des Landes die Akten vom Gericht an, und es wurde die Frage gestellt, ob andere Anhaltspunkte für diese (anerkennende) Rechtsprechung ersichtlich wären, die sich nicht aus den Akten ergäben.

Die Akten ergaben selbstverständlich nicht das Gesuchte. Das Verwaltungs­gericht Stade hatte sich als erstes Gericht auf Zeugenaussagen, schriftliche Materialien und mündlich erläuterte Gutachten, etwa des einzigen theologi­schen Lehrstuhls (an der Universität Göttingen), der sich mit dieser religiösen Minderheit befast, gestützt und sich zuletzt in einem 60 Seiten umfassendem Urteil") - ich habe bislang in Asylverfahren kein anderes Urteil dieses Umfangs gesehen - bis ins einzelne mit der Verfolgung der Yezidi und den Einschätzungen dazu auseinandergesetzt. Ihm waren und sind inzwischen andere Gerichte mit gleicher Begründung gefolgt.

Nachdem die Akten nichts hergaben, geschahen, zeitlich zusammenfallend, erstaunliche Dinge: Der noch im Herbst 1982 vom Landtag wegen der großen Belastung mit Asylverfahren erbetenen 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Stade wurden in der Änderung des Geschäftsverteilungsplans vom März 1983 alle Asylverfahren weggenommen und wieder alleine der 4. Kammer aufge­halst. Dies, obwohl sich die 5. Kammer gerade erst in das Asylrecht als ein sehr spezielles Recht, das ohne eingehende Kenntnisse der Lage in den Heimatlän­dern der Flüchtlinge nicht bewältigt werden kann, eingearbeitet hatte. Sie ist fortan wieder nur für Lastenausgleich, Baurecht und ähnliche Gebiete zustän­dig. Der Niedersächsische Landtag beschäftigt sich heute noch mit diesem Vorgang, den ich für den Versuch halte, Richtern Akten wegzunehmen, weil sie nicht in der gewünschten Richtung Urteile fällen.

Seitdem kommt die alleingelassene 4. Kammer des Gerichts kaum nach. Sie ist nämlich wieder für alle Asylverfahren alleine zuständig; Verfahren von Yezidi soll es deshalb erst wieder im Sommer 1984 nach eineinhalbjähriger Pause geben.

Als letzte Gerichte in Niedersachsen erkennen das Verwaltungsgericht Han­nover und das Oberverwaltungsgericht Lüneburg nach wie vor Yezidi nicht an. Diese Rechtsprechung ist schwer zu erklären. Die zuständige 10. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover räumt ein, daß in der Türkei Yezidi von Muslimen verfolgt werden, will dies aber nicht dem türkischen Staat anlasten. Dem vermag ich angesichts der massiven Verfolgung der Yezidi nicht zu fol­gen. Ich hatte diese Verfolgung mit Beweisanträgen nachgewiesen, so zum Beispiel, daß Vergewaltigungen und Entführungen von Yezidi aus dem Dorf eines Klägers durch Muslime unter den Augen der militärisch organisierten Polizei der Türkei (der Jandarmas) erfolgten, weil dort nämlich seit Jahrzehn­ten eine Jandarmastation, Karakol, bestand und die Jandarmas dennoch nicht eingriffen. Das muß sich der türkische Staat zurechnen lassen, weil er die Opfer nicht schützt und die Straftäter nicht verfolgt. Alle diese Beweisanträge wurden mit unterschiedlicher Begründung abgelehnt. Während dieser juristische Streit weitergeht, wird für die im Landkreis Han­nover lebenden Yezidi das Leben gefährlicher. Wie sich beim gewaltsamen Ausfliegen der yezidischen Frau Tokul und ihrer Kinder zeigte, werden, koste es, was es wolle, Rechtspositionen durchgesetzt - ohne Rücksicht darauf, was diesen Menschen zustoßen kann - was anderswo, zum Beispiel für den Innen­minister des Nachbarlandes Nordrhein-Westfalen, Schnoor, Anlaß für den Abschiebestop für Yezidi ist.

Der Landkreis Hannover kann sich durch die Rechtsprechung des Oberver­waltungsgerichts Lüneburg bestätigt sehen und wie bisher weitermachen. So hat das Oberverwaltungsgericht noch nie einen Yezidi anerkannt und vor kur­zem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover, das die Ver­schleppung der Frau Tokul und ihrer Kinder deutlich als rechtswidrig bezeich­net hatte, aufgehoben mit der Begründung, nach der Rückkehr des (am Boden zerstörten) Ehemanns und Vaters zu seiner Familie in die Türkei habe sie kein Recht auf Schutz -juristisch: kein Rechtsschutzbedürfnis -mehr; in meinen Augen ein Freibrief für Ausländerbehörden, künftig Ausländer zügig außer Landes zu schaffen, so daß diese Praxis dann nicht mehr vor Gericht überprüft zu werden braucht. Es bleibt für die noch hier lebenden Yezidi die Angst vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg, das bisher keinen einzigen Yezidi anerkannt hat und sich auch weigert, selber Zeugen und Sachverstän­dige zur Verfolgung der Yezidi in der Türkei zu hören. Es nimmt auch die schon zahlenmäßig überwältigende anerkennende Rechtsprechung der Ver­waltungsgerichte Stade, Osnabrück, Oldenburg, Braunschweig, Ansbach, Saarlouis und der Oberverwaltungsgerichte Münster und Saarlouis und des Verwaltungsgerichtshofes Kassel offenbar nicht zur Kenntnis. Das deckt sich auch mit dem Eindruck, den in Niedersachsen mit Asylrecht beschäftigte Juri­sten vom zuständigen 11. Senat des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg haben. Von dort kommt seit Jahren eine außerordentlich konservative Recht­sprechung, die die Grundeinstellung vermuten läßt, daß jeder Ausländer als Eindringling angesehen wird, den es abzuwehren gilt. Es fehlt auch jede öffentliche Auseinandersetzung mit entgegenstehender Rechtsprechung und Literatur; Veröffentlichungen des Senats in Fachzeitschriften habe ich nicht gefunden. Insoweit wird in Niedersachsen die fachliche Diskussion über Aus­länder- und Asylrecht am zuständigen Senat, der als Obergericht Leitideen entwickeln und die Fachdiskussion beeinflussen könnte, vorbeigeführt. Sogar die Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge­richts Berlin fehlt. Dies hatte nämlich schon in zwei Urteilen vom 2. August 1983 Christen aus der Türkei anerkannt, weil ihnen wegen der Verfolgung in der Heimat nicht die sogenannte Fluchtalternative, das heißt, Ausweichen in die Großstädte der Westtürkei zugemutet werden kann. Davon aber war das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in seiner ersten Grundsatzentscheidung zu Yezidi ausgegangen und hatte eine Fluchtalternative für Yezidi im Westen der Türkei angenommen. Dies geschieht alles, obwohl Tatsachen und Beweismit­tel dagegen stehen: Die Göttinger Yezidi-Sachverständigen hatten schon 1982 vor dem Verwal­tungsgericht Stade nachgewiesen, daß die Yezidi in der Rangfolge der türki­schen Gesellschaft unter Türken, Muslimen, Kurden und Christen an unter­ster Stelle stehen, so daß der Schluß aus den oben genannten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts wohl zwingend ist, daß, wenn Christen wegen feh­lender Fluchtalternativen anerkannt werden, dies erst recht für die noch stär­ker verfolgten Yezidi gelten muß. Die Yezidi-Sachverständigen hielten es auch für völlig ausgeschlossen, daß ein Yezidi in westlichen Großstädten der Türkei leben und arbeiten könne, vom fehlenden Zusammenhalt der Reli­gionsgemeinschaft ganz abgesehen. Einer dieser Forscher lebte selbst jahre­lang mit seiner Familie in Istanbul und traf dort keinen Yezidi und kann dies wohl am besten beurteilen. Auch dies änderte nichts an der Meinung der Rich­ter des Oberverwaltungsgerichts-Senates.

Versuche, auf die Meinungsbildung mit dem prozessualen Mittel des Beweis­antrages Einfluß zu nehmen, indem Entführungen und Vergewaltigungen der Frauen, Schikanen und Mißhandlungen der Männer beim Militärdienst, ver­weigerter staatlicher Schutz gegen Übergriffe von Muslimen durch Zeugen bewiesen werden konnte, scheiterten an ihrer konsequenten Ablehnung durch das Oberverwaltungsgericht. Dabei wurde zum Beispiel der Antrag eines Yezidi abgelehnt, eine in der Türkei lebende und zur Aussage bereite Verwandte zu Entführungen von Yezidi zu hören, weil - so die Begründung in der Verhandlung - diese Zeugin sich mit dieser Aussage der Bestrafung in der Türkei aussetzen würde, was erst recht Grund zur Anerkennung des Yezidi gewesen wäre. Das wurde offenbar später beim Schreiben des Urteils bemerkt, so daß diese Ablehnung dann in dem schriftlichen Urteil nicht mehr auftauchten.

Einer der Richter soll vor anderen Richtern, als er vom ersten anerkennenden Urteil des Verwaltungsgerichts Stade erfuhr, gefragt haben, ob sie wohl noch ganz bei Sinnen wären, dann könnte man ja alle anerkennen. Dar­auf angesprochen, wich er aus. Als der Anwalt nachfassen wollte, ob er diese Äußerung ausschließen könne, wurde dies mit einer formalen Begründung verhindert. Als es ein zweiter Anwalt später noch einmal versuchen wollte und die etwa zehn Berufsrichter, die diesen Satz gehört haben mußten, als Zeugen angab, wurde auch dies abgewehrt mit der Begründung, der Anwalt hätte diese Richter zur Verhandlung mitbringen müssen. Der betreffende Richter wirkt noch heute bei Entscheidungen über Yezidi mit und hält sich natürlich nicht für befangen.

Letztlich griff das Oberverwaltungsgericht zu einem Mittel, einen Antrag abzuwehren, das einen verzweifeln lassen kann. Als ein Anwalt sich zum Nachweis der Verfolgung von Yezidi beim türkischen   Militär auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 6. Dezember 1983 bezog und das Aktenzeichen des Oberverwaltungsgerichts Münster angab, wurde auch dies abgelehnt, weil die aktenführende Stelle, das heißt also auch noch das erstin­stanzliche Gericht nicht angegeben worden war. Das ist jedoch nur ein Vor­wand, weil es Oberverwaltungsgerichts-Richtern keine Probleme bereiten dürfte, sich dieses Urteil zu verschaffen. Solche Einzelheiten lassen sich zahl­reich schildern. Sie charakterisieren das Klima, in dem wir die Interessen unserer yezidischen Mandanten wahrnehmen müssen. Um zuverstehen, weshalb die Yezidi hierher geflohen sind, gebe ich wieder, was mir meine Mandanten berichtet haben: Die Yezidi wurden als Mitglieder einer alten Religion schon von jeher in der Türkei als " ........" ver­folgt. Sie fanden dagegen weder unter den früheren Zivilregierungen wie unter Ecevit oder Demirel, noch unter der Militärjunta, die im September 1980 vorgeblich gegen Mord und Gewalt putschte, Schutz vor den Übergriffen der Muslime. Auch die neue Zivilregierung unter Özal will und kann daran ebenfalls nichts ändern, weil sie von den Militärs abhängt, andere, wirtschaft­liche Probleme hat und nicht weiß, ob sie morgen noch regiert. Das mußten im Frühjahr 1984 der Gesundheits- und der Justizminister feststellen, als sie das berüchtigte Militärgefängnis in Kurdistan, das von Diyarbakir, kontrollieren wollten und von Militärs nicht hereingelassen wurden.

Yezidi stoßen in der Türkei auf eine übermächtige Zahl von Muslimen, die sich durch die von der aus dem Iran ausgehenden Re-Islamisierungswelle stär­ker denn je fühlen. Wenn Yezidi im öffentlichen Leben mit Behörden, Ämtern, Polizei, Gerichten und mit Händlern, Fabrikanten und Großgrund­besitzern zu tun haben, stoßen sie nur auf Muslime. Es mag zwar einige wohl­habendere Yezidi mit Land geben; aber unter den Beamten, Lehrern, Rich­tern, Polizisten, Parlamentariern und Senatoren gibt es - wie im gesamten öffentlichen Bereich der Türkei - keinen einzigen Yezidi. Und das spüren die Yezidi dauernd.

Die Mehrzahl meiner yezidischen Mandanten konnten in der Türkei keine Schule besuchen, weil es in ihren Dörfern keine gab, oder wenn es eine gab, sie Angst hatten, die Kinder durch das Gebiet der Muslimen zu schicken, weil sie nicht wollten, daß sie dort und in der Schule von den islamischen Mitschü­lern und Lehrern drangsaliert und geschlagen werden. Trotz des Anspruchs auf Schulbildung in der Verfassung verweigert der türkische Staat Kurden und Yezidi eine solche Schulbildung, weil er entweder überhaupt keine Schulen bauen ließ oder nicht einen von Übergriffen der Muslimen freien Schulbesuch ermöglichte. Diese Lage ist vergleichbar mit der der schwarzen Bürger in den Südstaaten der USA, wo es auch langer Auseinandersetzungen und Gericht­surteile bedurfte, bis diese ihre Rechte wahrnehmen konnten. Die Verhält­nisse in der Türkei sind für die Yezidi noch heute so schlimm und werden durch den Anstieg der Analphabeten von 49% im Westen auf 72% im von Kurden und Yezidi bewohnten Osten der Türkei belegt.1)

Die Yezidi sprechen daher überwiegend nur kurdisch und nicht das offizielle türkisch. Der Staat hat durch den verweigerten Unterricht die fehlenden Tür­kischkenntnisse verursacht und sich damit einen weiteren Grund für die Ver­folgung dieser nur kurdisch sprechenden Minderheiten geschaffen. Kurdisch sprechende Menschen werden nämlich bei Ämtern, Behörden, Gerichten und beim Militär ständigen Repressalien ausgesetzt:

Beim Militär wird nur Türkisch gesprochen. Wer die Befehle der Vorgesetz­ten in Türkisch nicht versteht, wird solange geschlagen, bis er das kann. Das trifft auch Kurden, die keine Yezidi, sondern Mulime sind. Wird dann aber offenbar, daß er ein Yezidi ist, wird er noch ärger geschlagen, geschunden und zum schlechtesten Dienst eingeteilt. Beschmieren mit der tabuisierten blauen Farbe, mit dem verbotenen Wort "......." (.......), Zwang zum Besuch einer Moschee und sogar Zwangsbeschneidungen waren und sind auch heute noch gang und gäbe, wie Yezidi einem deutschen Besucher über ihre Leiden beim Militär im letzten Jahr noch erzählen mußten.

Diese Schikanen und Verfolgungen der kurdisch sprechenden Menschen in der Türkei sind auch keine willkürlichen Übergriffe einzelner Soldaten, Polizi­sten oder Beamter des Staates, sie geschehen mit Wissen und Billigung des tür­kischen Staates. Seit Jahren zitiere ich Artikel 89 des Parteiengesetzes vom 13. Juli 1965, in dem es heißt:

„Politische Parteien dürfen nicht behaupten, daß auf dem Territorium der Türkischen Republik Minderheiten existieren, die auf ethnischen, politischen oder sprachlichen Unterschieden beruhen.

Politischen Parteien ist nicht gestattet, die Unterminierung der nationalen Einheit zu begünstigen und beizutragen zur Entstehung von Minderheiten auf dem Territorium der Türkischen Republik durch Schutz, Unterstützung und Verbreitung von Sprachen und Kultur, die nicht-türkische Sprachen und Kultur sind." 2)

Auch die Militärs. die ihren Putsch mit dem Willen, Ruhe und Ordnung wie­der herzustellen, rechtfertigen, griffen das Verbot der kurdischen Sprache wieder auf und bekräftigten es durch eine Runderlaß der Kriegsrechtkom­mandatur der Bezirke Diyarbakir, Hakari, Mardin, Siirt, Urfa und Van vom 16. Juli 1982 und setzten die Unterdrückung und das Verleugnen der kurdi­schen Minderheit fort.

Die kurdische Sprache und Kultur werden in der Türkei verfolgt; wer sich dafür einsetzt oder nur dessen verdächtigt wird oder allein die Existenz der Millionen Menschen umfassenden kurdischen Minderheit und ihrer Sprache und Kultur nicht leugnet, wird in Prozessen unbarmherzig verfolgt und ist schon vorher monatelang von der Polizei und dem Militär gefoltert worden. Sogar der frühere Minister Seraffetin Elci mußte eine längere Freiheitsstrafe absitzen, weil er in einem Interview die Existenz der Kurden nicht verleugnet, sondern mit den Worten "ich bin selber Kurde" offen bestätigt hatte. Kurdi­sche Sänger dürfen nicht auftreten, ihre Musikkassetten werden beschlag­nahmt. Angesichts der vielen Kurden, die nicht lesen und schreiben können und für die daher zum Erhalt ihrer kollektiven Identität kurdische Sänger äußerst wichtig sind, ist die kulturelle Unterdrückung der kurdisch sprechen­den Menschen der Türkei offenkundig. Viele dieser Sänger sind deshalb selber verfolgt worden und mußten ins Ausland fliehen. Zu ihnen gehören die Sänger Sivan, der inzwischen vom Bundesamt anerkannt wurde und Rencber, der inzwischen vom Verwaltungsgericht Hannover ebenfalls anerkannt wurde.

Daß sich die Lage der kurdischsprechenden und yezidischen Menschen in der Türkei weder unter der Militär- noch der von ihr abhängigen Zivilregierung gebessert hat, ist offenkundig. Denn die Staatsgewalt in der Türkei ist in deren abgelegenen Gebieten von jeher durch das Militär, sei es durch reguläre Trup­pen, sei es durch die Jandarmas, ausgeübt worden. Wenn der türkische Staat die Minderheiten hätte schützen wollen, wäre das schon damals möglich gewe­sen. Wenn Yezidi und Kurden nämlich über Schikanen und Mißhandlungen berichteten, war das Militär daran beteiligt. Es hätte also schon damals diese Minderheiten schützen können.

Das Gegenteil ist der Fall. Militär, Beamte, Richter, Polizei und Großgrund­besitzer arrangieren sich bei der Verfolgung und Ausbeutung der Minderhei­ten. Anzeigen von Yezidi gegen muslimische Räuber, Frauenschänder und­ Entführer und Mörder werden entweder nicht entgegengenommen oder aber nicht ernsthaft bearbeitet. Stattdessen trinkt man gemeinsam Tee, wie vom Sachverständigen Dr. Berner dem Verwaltungsgericht Stade anschaulich berichtet. Der Yezidi-Emir Mü "äwija berichtete den Richtern auch, wie er 1982 vergeblich die türkischen Behörden um Hilfe für ein entführtes Yezidi­-Mädchen und für ihres Landes beraubte Yezidi gebeten hatte. Jeder Kultur­staat, der den Anspruch auf Gerechtigkeit und Menschenwürde erhebt, geht gegen Verbrecher vor, die Menschen und Land rauben. Daß dies nicht geschieht, belegt die Verfolgung der Yezidi.

Jürgen Roth berichtet über diese Zusammenarbeit der etablierten Muslime und erwähnt eine Dokumentation von Anwälten des Bezirks Diyarbakir, nach der die Großgrundbesitzer, Agas, in 95 % aller Gerichtsverfahren ihre Land­ansprüche durchsetzen konnten. 3) Die Einschätzung der Yezidi, es habe kei­nen Zweck, seine Ansprüche einzuklagen, ist demnach richtig. Der türkische Staat unternimmt keine Anstalten, die Rechte der Minderheit zu sichern.

Auch Arbeitssuche in anderen Teilen der Türkei ist spätestens dann vergeb­lich, wenn die yezidische Religion bekannt wird. Bei dem Zurschaustellen der islamischen Religion wird der Yezidi bald entdeckt. Meistens werden sie dann gefeuert, ohne daß sie ihren Lohn erhalten. Auch hier greift die Polizei nicht ein.

Militär, Polizei und Verwaltung greifen auch nicht ein, wenn Muslime Yezidi verfolgen, indem sie yezidische Frauen und Mädchen entführen und vergewal­tigen und den fadenscheinigen Grund anführen, diese zum wahren islami­schen Glauben bekehren zu wollen. Obwohl dies nach der yezidischen Reli­gion eine der schlimmsten Sünden darstellt und eine derart mißhandelte Frau von ihrer Familie und ihrem Dorf nicht mehr aufgenommen werden darf -dies also letztlich zur Ausrottung der Yezidi wegen des Verbots der Heirat außerhalb der eigenen Gruppe führt - und von den Muslimen auch bewußt dafür ein­gesetzt wird, werden Yezidi vom Staat nicht geschützt. So gibt es kaum eine Familie, aus der nicht ein Mädchen oder eine Frau entführt worden ist. In einer Gerichtsverhandlung vor dem Verwaltungsgericht Hannover hat mir ein Yezidi eine Liste aufgestellt, auf der vierzehn Frauen und Mädchen aus Verwandtschaft und Umgebung bisher entführt worden sind, ohne daß die Polizei geholfen hätte und die Entführten zurückgekommen wären.

Die Hoffnungen sind für die yezidische wie die anderen Minderheiten in der Türkei schlecht. Ursache dafür ist der fanatische Nationalismus, den der deut­sche Reiseleiter Ralph Braun zu spüren bekommen hatte, als er seiner Reise­gruppe den Völkermord an den Armeniern in der Türkei nicht verschwiegen hatte und deshalb eineinhalb Jahre in Haft war. Dort mußte er nicht nur selber Schläge hinnehmen und verfolgen, wie Gefangene gefoltert wurden, sondern sogar erleben, daß Frauen und Kinder gesuchter Kurden verhaftet und zum Teil mehrere Jahre festgehalten wurden. Gleiches widerfuhr Michael Stok­kamp und Volker Waidler, die wegen der Verteilung von christlicher Literatur und Kassetten in kurdischer Sprache und wegen Verteilung von Propa­gandaschriften verhaftet wurden und heute in Elazig ihr Gerichtsverfahren erwarten.

Yezidi droht bei ihrer Ablehnung als "Asylanten" und ihrer Abschiebung in die Türkei Verhaftung und Verurteilung, weil sie sich durch die Behauptun­gen im Asylantrag, in der Türkei verfolgt zu werden und keinen Schutz gefun­den zu haben, strafbar gemacht haben.

Das Asylverfahren in der Bundesrepublik ist den türkischen Behörden auch bekannt. Die Weitergabe von Einzelheiten aus dem Asylverfahren an die Tür­kei kann nicht ausgeschlossen werden. Im Bundesamt kommen die Geheim­dienste - hier vornehm in den Akten mit Vorprüfungsgruppe A und B bezeich­net - ohne weiteres an die Unterlagen. Diese Vermerke finden sich in den mei­sten Akten. Die Zusammenarbeit mit den befreundeten Geheimdiensten der NATO " also auch der Türkei, ist gang und gäbe und folgt aus der Bündnisver­pflichtung im NATO- Vertrag und auch dem Selbstverständnis der beteiligten Behörden.

Die türkische Regierung kann das Asylbegehren am seit Jahren nicht mehr verlängerten Reisepaß feststellen, weil er nach Paragraph 26 des Asylverfah­rensgesetzes beim Ausländeramt hinterlegt werden muß und darum nicht ver­längert werden kann. Im Übrigen verfügen die hiesigen türkischen Konsulate über hervorragende Informationsquellen, was gezielte Fragen an meine Man­danten nach ihren Asylverfahren belegen.

Rückkehrenden Yezidi droht jedoch Verhaftung, Folter und Bestrafung: Rei­sende haben in der Türkei Verhaftungen von zurückkehrenden Asylsuchen­den, darunter Yezidi beobachtet oder davon durch Berichte der Angehörigen erfahren. Auch dem Auswärtigen Amt muß die Verhaftung von zurückge­kehrten Asylflüchtlingen bekannt sein. Dazu gehört ein Mandant von mir, der wegen seines Asylantrages und der darin gesehenen Verunglimpfung zu einer Strafe von fünf Jahren verurteilt wurde. Inzwischen hat ein Yezidi erzählen können, wie es ihm in der Türkei nach seinem ersten Asylantrag erging. Er wurde im Februar 1983 nach rechtskräftig abgelehntem Asylantrag in die Tür­kei abgeschoben, dort wie üblich von den deutschen Behörden angekündigt und wie üblich, sofort verhaftet. Im zweiten Polizeirevier Istanbuls wurde er geschlagen, gefoltert und aus einem Fenster eines oberen Stockwerks gehal­ten. Inzwischen gelang ihm die Flucht zurück in die Bundesrepublik.

Heute bestätigt der türkische Staat sogar selbst die Diskriminierung der Yezidi. So teilte das Kreisstandesamt des Landratsamtes Cinar (über das Konsulat Hannover) mit, daß der Antrag eines hier lebenden Yezidi auf Ausstellung der Papiere abgelehnt und der Betreffende zur Regelung dieser Angelegenheit angehalten werde, weil diese yezidische Religion offiziell nicht mehr aner­kannt und nicht mehr eingetragen werde.

Alle diese Einzelheiten sind im Laufe der Jahre zusammengetragen und den Gerichten vorgelegt worden. Fast alle haben daraufhin Yezidi anerkannt. Dazu gehören die Verwaltungsgerichte Saarlouis, Osnabrück, Braunschweig, Oldenburg, Ansbach, Düsseldorf und Stade sowie die Oberverwaltungsge­richte Saarlouis und Münster und der Verwaltungsgerichtshof Kassel - die der Obergerichte inzwischen alle rechtskräftig. Es müßte auch möglich sein, die übrigen Gerichte zu überzeugen. «

 

 

Werner Deckmann ist Rechtsanwalt in Hannover


 

Die Kirchchenvertreter und Menschenrechtler haben sich beispielhaft im Angesicht diese falsch begründeten und akut bedrohliche Abschiebungsgefahren, die nicht weiter als „aus den Augen aus den Sinnen“ war, formiert und dagegen, zum Teil mit den Betroffenen und auch ohne sie, massiv protestiert.

Hierbei war es dem unermüdlichen und beispiellosen Engagement einiger Menschen aus verschiedener Berufskreisen, wie: Pastoren, Anwälten, Sozialarbeiter, Akademiker, Politiker etc. zu verdanken, dass den Êzîdî doch noch ein Bleiberecht zugesichert wurde.

Mit der Unterstützung von der Gesellschaft für bedrohte Volker in Göttingen und Kirchenvertretern haben die Êzîdî mehrere Male gegen ihre Abschiebung und für ein Bleiberecht in verschiedenen Orten Deutschlands demonstriert. 18. Mai 1984 in Bergen Belsen. Wie das unten aufgeführtes Schreiben von Christel Schuran (MdL, Die Grünen) zeigt, ist  diese Demonstration nicht so gelaufen, wie die Beteiligten es sich vorgestellt haben. Diese Demonstration die gegen einen Justizirrtum gerichtet war, wurde seitens der Landesregierung mit unmöglichsten Methoden und sehr fragwürdigen Argumenten behindert.   

 

»  Christel Schuran (MdL, Die Grünen)

   Kleine Anfrage zur mündlichen Begründung

   (20. Mai 1984)

 

 

  Der Niedersächsische Landtag

Behinderung einer Demonstration der Gesellschaft für bedrohte Völker am 18. Mai 1984

 

Der Verein der Yezidi in Deutschland und die Gesellschaft für bedrohte Völker riefen unter dem Motto "Verfolgte flüchten nach Bergen-Belsen, einem Ort der Verfolgung ­Kundgebung gegen die drohende Abschiebung yezidischer Kurden in die Türkei" für den 18. Mai 1984 zu einer Demonstration von der Stadt Bergen bis zum Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen mit einer abschließenden Kundgebung auf. Auf Anweisung des niedersächsischen Innenministers untersagte der Landkreis Celle die Kundgebung. Das Verwaltungsgericht Stade, Kammer Lüneburg, gab dem Widerspruch gegen dieses Verbot statt, woraufhin die Bezirksregierung Lüneburg erneut ein Verbot aussprach. Über den Widerspruch dagegen verhandelte das Gericht noch, während sich der Demonstrationszug in Richtung Gedenkstätte bewegte. In Absprache mit der Polizei und der Bezirksregierung sollte mit der Kundgebung auf eine Waldschneise ausgewichen werden. Unterwegs wurde der Demonstrationszug von Vertretern des Landkreises Celle gestoppt, die die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Verbots vorlegten und jedes Weitergehen untersagten. Nach einiger Zeit des Wartens wurde das Gerichtsurteil bekannt: die Demonstration und die Kundgebung auf dem Parkplatz des Geländes der Gedenkstätte wurden genehmigt. In der Anordnung der sofortigen Vollziehung des Landkreises Celle vom 18. Mai 1984 wurden als Gründe dafür angeführt:

"Zudem besteht die Gefahr, daß das Land Niedersachsen dadurch beschimpft wird (§ 9Oa

I StGB), daß die angebliche Verfolgung der Yezidi durch das Land gleichgesetzt wird mit der Verfolgung der Opfer der NS-Herrschaft.

Weiterhin liegt auch darin eine herabsetzende Verharmlosung der Leiden des jüdischen Volkes im Dritten Reich."

 

Ich frage die Landesregierung:

1. Worin bestand für die Landesregierung die angeführte "herabsetzende Verharmlo­sung" bei der Kundgebung, wo neben yezidischen Vertretern ein jüdischer Philosoph und eine Vertreterin der Sinti und Roma sprachen, Vertreter von Minderheiten, die zu den Opfern der NS-Herrschaft gehören?

2. Hält die Landesregierung die als Grund in der Anordnung angeführte Befürchtung, es bestünde die "Gefahr, daß das Land Niedersachsen beschimpft wird", die Angst, vor einer deutlichen Kritik der Ausländerpolitik der Landesregierung, für einen vertretbaren Grund, um eine Kundgebung zu verbieten?

3. Ist die Landesregierung der Auffassung, daß ihr Verhalten bei dieser

Veranstaltung mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit sowohl für die betroffenen Asylbewerber als auch für die Vertreter der verfolgten Minderheiten im Dritten Reich vereinbar ist, oder was bewertet sie höher als dieses Grundrecht?«

 

Umso friedlicher und erfolgreicher ist eine zweite Großdemo der Êzîdî in der Landeshauptstadt von Nordrhein Westfalen (Düsseldorf) verlaufen. Hierbei gewannen die Êzîdî das Mitleid von dem Innenminister dieses Bundeslandes Herrn Dr. Herbert Schnoor für ihr Leiden.

Diesen Katz- und Mausspiel brachte erst ein Besuch der Innenminister von Nordrhein Westfalen, Dr. Herbert Schnoor in den Wohnsiedlungen der Êzîdî in der Türkei ein Ende. Um “genauere Einsicht in die tatsächlichen Verhältnisse zu bekommen“ besuchte er, mit Begleitung und ohne  Ankündigung,  vom 1. bis 7. Mai 1989 die Siedlungsgebiete der Êzîdî und 23. bis 25. Mai 1989 reiste er nach Istanbul, ebenfalls mit Begleitung, um es selber zu erfahren ob tatsächlich „mehrere Tausend“ Êzîdî in dieser größten Stadt der Türkei leben und um es zu prüfen, ob sie wie vom Auswärtigem Amt in einem Bericht über die Lage von Êzîdî in der Türkei behauptet wurde, ungehindert und ohne Schwierigkeiten arbeiten und auch höhere Bildungsschulen besuchen konnten. Parallel dazu besuchte eine andere Gruppe, kirchlicher Vertreter, mit der Unterstutzung von der Gesellschaft für bedrohte Volker in Göttingen ihrerseits die Siedlungen der Êzîdî in der Osttürkei. Beide Seiten sind einstimmig zu der Überzeugung gekommen, dass die verfolgten Êzîdî in der Türkei weder in den Großstädten noch auf dem Lande sicher sind und vor Verfolgung Schutz finden könnten. Deshalb hat der Minister gleich nach seiner Rückkehr nach Deutschland in einem Schreiben an das Innenministerium seine Empfehlung, die Êzîdî als Gruppenverfolgte  anzuerkennen, geäußert.

Auch der Bericht von dem Auswärtigem Amt musste berichtigt werden, weil man nicht einen einzigen Êzîdî benennen konnte, der ein unbeschwertes Leben in Istanbul führte geschweige dort auch dauerhaft leben könnte.

·          „ISTANBUL  ENDE  MAI“

»Gespräch im Generalkonsulat. Minister Schnoor ist in die Türkei zurückgekehrt, um seine Recherchen zu vertiefen. Er ist diesmal in Begleitung seiner Frau und des Ehepaars Wiesner in Istanbul. Konfrontiert mit der Aussage des Auswärtigen Amtes, es seien 40.000 Yezidi in Istanbul, die in guten Verhältnissen lebten, beruft sich Generalkonsul Müller-Chorus auf einen türkischen Schriftsteller als Informanten. Nach langem Drängen habe dieser ihm jedoch nur einen einzigen Yezidi vorgestellt, der zum einen nicht in Istanbul ansässig war, zum anderen seine Angaben ausdrücklich bestritten habe. In dem Gespräch wird deutlich, daß der Generalkonsul alle bisherigen Erklärungen über Yezidi in Istanbul nicht mehr aufrecht erhält.«

Zitiert nach einem Bericht aus der Zeitschrift „Pogrom“ Nr. 150, Sept. 89, Herausgeber ist die Gesellschaft für bedrohte Volker in Göttingen.

Mit diesen selbst gewonnenen Erkenntnissen war es für Innenminister Schnoor außer jeder Frage, dass die Êzîdî eine neue Heimat unbedingt nötig haben. Denn ihre Lage in der angestammten Heimat, die sie bereits zum größten teil verlassen haben, war für sie nicht mehr erträglich gewesen. Er hatte nun die Gewissheit, dass die Êzîdî keine, sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge“ waren und sind, sondern ihre Heimat aus Angst und wegen nicht endender Verfolgung verlassen mussten. Er musste trotzt dieser Erkenntnis noch seine Amtskollegen und auch die Politiker auf der Bundesebene von seine Erkenntnissen überzeugen. Auf der Innenministerkonferenz 1989 ist er mit seinem Vorschlag, bundesweit ein Bleiberecht für Êzîdî durchzusetzen gescheitert. Vor allem hat sich Bayern „als Hauptbremser“ hervorgetan. In NRW ist die Entscheidung über das Bleiberecht immer wieder, mit der Begründung „man wolle verhindern, dass eine innerstaatliche Flucht stattfindet“, verschoben worden. Mit seinem Erlass vom 25. Februar 1990 hat er endlich den langersehnten Durchbruch erzielt und ein Bleiberecht für alle Êzîdî und Christen, die bis 31. Dezember 1989 aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind zugesichert.

Nun war es zu klären in welchem Pass bzw. Ausweis sie dieses Bleiberecht bekommen sollten. Alle, die Anspruch auf Bleiberecht hatten wurden aufgefordert in den türkischen Konsulaten zu gehen und selber ihre bereits abgelaufenen türkischen Pässe zu verlängern. Das war eine Zumutung und die Êzîdî wollten aus berechtigten Ängsten nicht mehr mit dem türkischen Staat in Kontakt kommen. Viele von ihnen haben das in einem Schreiben an die Ausländerbehorden, die für sie zuständig waren und von dem sie die Aufforderung bekommen hatten noch einmal zum Ausdruck gebracht. „Es ist mir als Yezide unzumutbar, mir diese Aufenthalterlaubnis in den türkischen Nationalpaß stempeln zu lassen bzw. das türkische Konsulat aufzusuchen, um dort meinen Nationalpaß zu verlängern.“ heißt es in einem Brief, das an das Am für Bürgerberatung Ausländerabteilung Bielefeld gerichtet ist.

Schließlich haben sie vorübergehend bis 31. Dezember 1990 einen Fremdenpass bekommen. Danach ging der Kampf um den Art der Aufenthaltserlaubnis weiter. Nach und nach haben auch diejenige, deren Anträge auf Asyl zuvor rechtskräftig abgelehnt wurden und jetzt mit einer Duldung lebten, einen zweiten Asylantrag gestellt um ihre jetzt gewonnene Chance auf eine Anerkennung zu nutzen. Sie sind nach nochmaliger Prüfung rechtskräftig anerkannt worden und haben jetzt das Recht einen deutschen Pass (Reiseausweis) zu beantragen, das alle zwei Jahre verlängert wird. Nach und nach sind auch die anderen Bundesländer dem Beispiel von NRW gefolgt und gaben fast alle Êzîdî die Aufenthaltserlaubnis. Wobei ihnen diese Entscheidung auch von dem Bundesverfassungsgericht in Koblenz  in einer Grundsatzentscheidung leichter gemacht worden ist.            

Viele Êzîdî haben mittlerweile die deutsche Saatsangehörigkeit angenommen, damit sind sie dem Gesetze nach deutsche Staatsburger, mit allen Pflichten und Rechte.

Aber der Kampf um ein Bleiberecht für alle Êzîdî aus allen Herkunftsländern geht noch immer weiter. Die Êzîdî aus der ehemaligen Sowjetunion und aus Syrien werden abgelehnt und wieder abgeschoben.

 

Die Êzîdî und die kurdische Frage in Deutschland


 

Zunächst will ich ein Tabu brechen und auch das Problem aller Kurden in Deutschland und kurz die dadurch entstandenen Probleme, die für eine erfolgreiche Integration von Êzîdî in Deutschland sehr hinderlich sind erwähnen.

Ein sehr großes Problem für die Integration von Êzîdî in Deutschland ist die Kurdenfrage, die auch hier im Lande zu alltäglichen Kräftemessen zwischen deutschen außenpolitischen Interessen und kurdischen Kampf gegen die unumstrittene Verfolgung aller Kurden in ihrem Lande geworden ist. Während die deutsche Bundesregierung schon immer einen Grund suchte, um die Kurden auch in ihrem Lande zum Schweigen zu bringen, um so die Freundschaft beider Länder, zwischen Deutschland und der Türkei, nicht zu gefährden, suchten die Kurden verzweifelt nach Wege, um die Weltöffentlichkeit über ihre wahrlich unumstritten schlimme, ja menschenunwürdige Lage in ihre Herkunftsländer aufmerksam zu machen. Je länger dieser Prozess andauerte und das Morden der Verwandten in den Herkunftsländern ein grausames Ausmaß annahm, darüber hinaus auch bekannt würde, dass diese Mordmaschinerie auch von Deutschland kräftig unterstützt wird, wandelten die anfangs friedlichen Demonstrationen in willkürliche Wutausbrüche. Zu dem kam auch, dass in den 90er Jahren die türkischen Staatsbürger, in Deutschland, das Angriffsziel aggressiver Haltung mancher Deutschen gegen die Ausländerfeindlichkeiten, hier im Lande, würden und dabei auch mehrere Brandanschläge auf ihre Behausungen verübt wurden. Wobei auch Menschen getötet worden sind. Z. B. 1993 der Brandanschlag in westfälischen Solingen. Bei dem Brandanschlag auf das von türkischen Familien bewohntes Wohnhaus kamen fünf Personen zu Tode.  Für die deutsche Regierung war es, also höchste Zeit zu handeln. Der Krieg zwischen türkischen Militär und der kurdischen Arbeiter Partei (kurz: PKK) war in voller Stärke entfacht und immer mehr grausame Bilder von den, mit deutschen Waffen getöteten Kurden, die auch hinter deutschen Panzern gebunden durch die Wälder geschleift würden, eroberten ihren festen Platz in die deutschen Medien. War die Hyperreaktionen der hier lebenden Kurden eine höchst willkommene Gelegenheit, um auch die radikalste und für das türkische Regime gefährlichste kurdische Arbeiter-Partei (PKK) zu verbieten und als eine terroristische Partei zu erklären. Das Verbot ist 1995 in kraft getreten. Damit galt diese Partei außer in der Türkei nur in Deutschland als terroristisch und ist auch deshalb nur in diesen beiden Ländern verboten. Die übrigen Kurden, die nicht der PKK angehören, sehen auch sich durch dieses Verbot in Europa politisch gelähmt.

Mit diesem Verbot ist in den köpfen von den meisten Deutschen fest eingebrannt, dass alle Kurden, die sich in irgendeiner Weise negativ über den türkischen Staat äußern auch automatisch Anhänger der „terroristischen PKK“ sind und deshalb man von ihnen größten Abstand nehmen muss, weil sie ebenfalls „gefährliche  Terroristen“ sind. Das Verbot brachte nicht nur für die übrigen Kurden, die zwar ebenfalls das Opfer der türkischen Terror in Kurdistan waren und sind, aber zeit langem friedlich in Deutschland leben und auch weiter leben wollen Ärger mit sich, sondern auch unweigerlich für die Êzîdî. Ich habe es bereits erwähnt, dass die Êzîdî ethnisch gesehen Kurden sind. Fast alle Kurden sind unweigerlich, die Êzîdî mit eingeschlossen, mit diesem Problem konfrontiert, und das begleitet sie überall in ihrem alltäglichen Leben. Sobald jemand als Kurde erkannt wird, sei es auf der Arbeit, im privaten Leben selbst in den Schulen und  auch auf der Suche nach einer neuen Wohnung, wie gesagt überall, weichen die meisten Deutschen von ihnen und versuchen auch in Zukunft einen großen Bogen um ihnen zu machen. Auch die tausendfachen schwüren bei Gott und Beteuerrungen, dass man nicht zur PKK gehört, helfen einem nicht das Geringste.

Auch die deutsche Regierung musste mittlerweile zugeben, dass die PKK durch das Verbot nicht geschwächt, sondern dass sie im Untergrund durch mehr anhängergewinnung eher gestärkt worden ist. Ein wichtiger Grund dafür ist auch die bereits erwähnten Problemen, denen die übrigen Kurden hilflos ausgesetzt sind. Wehrend die Deutschen den Kurden ablehnend gegenüber stehen und ihnen das Gefühl vermitteln, dass sie auf dauer gesehen „unwillkommene“ „Geste“ geschweige Mitbürger sind, verspricht die PKK ihnen genau das Gegenteil von dem. Sie nimmt sie mit offenen Armen auf und verspricht ihnen „einen baldigen blühenden freien Kurdistan“ in der sie alle ungestört und frei von Verfolgungen leben werden und das Ganze unabhängig von der Rasse und Religionszugehörigkeit. Dass diese Worte auch bei den Êzîdî Gehör finden, ist kein Wunder. Das bringt die Êzîdî auch auf dem Weg der Integration in mächtige Schwierigkeiten.

 

 
 

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© Niviskar:  Ferhun Kurt 

 

Die chronologische Geschichte einer leiderprobten, kleinen Religionsgemeinschaft

 

 

 


Einfuehrung des Autors


Einleitung


Kapitel Eins


Kapitel Zwei


Kapitel Drei


Kapitel Vier


Anhang