Kapitel Eins


 

Êzîdî-Religion als “geheim“ Religion?


 

»Weil die Türken in ihren Ländern nur jenen freie Religionsaus­übung gestatten, die göttliche Bücher1) haben, also den Mohamme­danern, Christen und Juden, sind die Jesidier gezwungen, die Grundlehren ihrer Religion geheimzuhalten.

.....wenn die Jesidier nach Mosul kommen, werden sie von der Obrigkeit, auch wenn man sie erkennt, nicht angehalten. Der Pöbel versucht hingegen bisweilen, sie zu prellen. So ein gemeiner Mensch beginnt über den (...) zu schimpfen, von dem die Jesidier glauben, dass ihn Gott eines Tages wieder in Gnaden aufnehmen werde, und die Folge davon ist, daß die Jesidier lieber alles, was sie angeboten haben, Eier und Butter zum Beispiel, zurücklassen, als mit anzu­hören, wie ein Engel beschimpft wird. ...«

So hat der deutsch- dänische Vermessungsengeneuer Carsten Niebuhr, als er zwischen 1761 und 1767 durch die ezidische Wohngebiete reiste, über die Lage von Êzîdî in seine Reisebeschreibungen geschrieben.

 

Bei Karl May „Die Wüste“ :

 »Oder meinst du, unser Glaube sei so schlimm, daß er ausgerottet zu werden verdient? «

»Ich kenne euren Glauben nicht«, antwortete ich.

»Man redet sehr viel Unwahres über uns, Effendi. Hast du auch von meinem Vater nichts erfahren oder von Pali und Melaf? « »Nein, jedenfalls nichts Wichtiges. Aber ich denke, daß du mir einiges sagen wirst. «

» Wir sprechen nie zu Fremden über unsern Glauben, Effendi. «

»Bin ich dir fremd? «

»Nein. Du hast dem Vater und den beiden andern Männern das Leben gerettet. Deshalb sollst du der einzige sein, dem ich etwas darüber erzählen werde. Aber ich muß dir sagen, daß ich selbst auch nicht alles weiß.«

»Gibt es bei euch Dinge, die nicht jeder wissen darf?«

»Nein. Aber gibt es nicht in jedem Haus Dinge, die allein die Eltern zu wissen brauchen? Unsere Priester sind unsere Väter. «  ...... «

Noch heute schreiben manche Autoren, dass die ezidische Religion eine Geheime ist. Ein entscheidender Grund ist meiner Meinung nach, der, dass die Êzîdî sich sehr selten offen über die Religionen äußern. Das liegt häufig nur daran, dass die Angehörige anderer Religionen uneinsichtig und sehr reizbar sind, wenn man sie für ihr Fehlverhalten anderen gegenüber kritisiert und wenn man manche Inhalte ihres Glaubens, auch nachweislich, in Frage stellt. Sie können keine Kritik ertragen, aber selber üben sie unermüdlich gegen andere Kritik aus und verbreiten Unwahrheiten über ihnen. Vor allem müssen die Moslems von den Inhalten des Islam und deren Praktiken fest überzeugt sein. Sie dürfen selber daran nie zweifeln und diese von keinem Anderen in Frage stellen lassen. Für die Êzîdî war es fast unmöglich offen über alle Weltreligionen zu diskutieren, um ihre eigenen Vorzüge im Vergleich mit anderer Religion hervorzuheben, ohne Konsequenzen zu befürchten. Man darf nicht meinen, dass die Êzîdî automatisch immer alles hinnahmen, was man über ihnen erzählte und wenn man sie beleidigte. Sie verteidigten sich überall, wo sie nur könnten.

Ein Beispiel: Hecî Ressulê Seyranê lebte in Syrien. Einmal besuchte er einen berühmten muslimischen Şêx. Der Şêx fing irgendwann an, wie sonst auch üblich, über die Êzîdî zu lästern.

 

„Die Êzîdî sind gottlose Götzenanbeter, sie sind die ewigen Verirrten und Abkömmlinge von dem rechten Wege Gottes.“ Sagte er.

 

„Hoch verehrter Şêx der Gläubigen, ihr Moslems lasst keine Gelegenheit verstreichen, ohne uns Êzîdî zu beleidigen, aber selber seid ihr nicht bereit eure Irrtümer zu zugeben und räumt  uns keine Gelegenheit ein uns dazu zu äußern.“ hat ihm Hecî Ressul geantwortet.

 

„Gewiss gewähre ich dir zu antworten, wenn du eine Antwort mit unwiderlegbaren Tatsachen kennst.“  So der Şêx weiter.

 

„Wie kann ich sicher sein, dass ihr nicht beleidigt seid, wenn ich antworte?“ Fragte ihn Hecî Ressul.  

 

„Ich gebe dir mein Wort, dass dir nichts geschieht, auch wenn du uns beleidigst.“ Versicherte ihm der Şêx.

 

HECÎ RESSUL: „Nun womit begründest du, dass wir Ungläubige und Götzenanbeter seien?

 

ŞÊX: „Ganz einfach. Ihr betet Himmelsgehstirne, zum Beispiel die Sonne an, die nicht weiter als ein glühender Himmelskörper ist.“

 

HECÎ RESSUL: „Welcher Nutzen hat die Sonne für die Erde und das Leben auf ihr?“

 

ŞÊX: „So gesehen hat die Sonne viele nutzen, man könnte sagen ohne ihre Wärme gebe es kein Leben auf der Erde, aber sie ist trotzdem ein Stern am Himmel und kein Gott.“

 

HECÎ RESSUL: „Wohin pilgern die gläubigen Moslems alljährlich?“.

 

ŞÊX: „Die Gläubigen pilgern nach Mekka?“ 

 

HECÎ RESSUL: „Was tun sie dort?“

 

ŞÊX: „Sie, tun ihre Pflicht als rechtgläubige Moslem und besuchen die schwarze Kaaba?“

 

HECÎ RESSUL: „Was ist die schwarze Kaaba?“

 

ŞÊX: „Ein Stein, der von Gott dorthin gelegt würde.“

 

HECÎ RESSUL: „Jetzt haben sie selber die Antwort gefunden mein Şêx, wer von uns Götzenanbeter ist. Ihr müsst jedes Jahr Tausende von Kilometern reisen um einen nutzlosen Stein zu sehen und ihn anzubeten, aber wir sollen nicht einen Himmelskörper anbeten, dem wir alle unser Leben verdanken.“

Der Sêx verstummte und gab kein Wort mehr von sich.

Aber nicht alle Êzîdî besaßen soviel Mut wie Hecî Ressul und ließen sich häufig von anderen lieber beleidigen, als sich mit ihnen anzulegen. Im Gegensatz war und ist auch nicht jeder Moslem so einsichtig wie dieser Şêx und gesteht seine Niederlage ein.

Ein weiterer Grund für dieses Schweigen konnte auch sein, dass die Êzîdî die Missionierung von nicht Êzîdî strikt ablehnen und deshalb nicht für nötig und eher für überflüssig halten, überall zu erzählen wer sie seien und welche ihre Religionsinhalte sind. Weitere Gründe könnten auch die üblen Gerüchte sein, die man entweder selbst diktiert oder im Auftrag über ihnen in die Welt setzte und immer noch setzt. Z. B. solche, wie „Sie sind Gottlos“, „Sie haben keine heiligen Gottesbücher“ oder „sie schwärmen aus, wenn sie ihre Feste feiern“, „Ihre Priester müssen mit den Frauen ihrer Jünger schlafen“ u. s. w. um den Pöbel gegen sie aufzuhetzen.

Hier einige Beispiele:

 

Bei Carsten Niebuhr:

·      ».. Manche beschuldigen sie, daß sie den (...) unter dem Namen Tschellebi (das heißt: Herr) anbeten, andere wieder behaupten, daß sie die Sonne und das Feuer verehren, also abscheu­liche Heiden sind. Sie sollen auch Abbildungen von Schlangen, Widdern und anderen Tieren schätzen, die der Schlange zur Erin­nerung daran, daß Eva durch eine Schlange verführt wurde, die des Widders, um nie zu vergessen, daß Abraham Gott gehorsam und be­reit war, seinen Sohn zu opfern... «

 

Dazu auch Henry Austin Layard: („Auf der Suche nach Ninive“)

·      »Wenige Tage, nachdem ich aus den Tidschari-Gebirgen nach Mossul zurückgekehrt war, schickte Scheich Nasr, das geistliche Oberhaupt der Jezidi (.........), einen Kawal oder Priester dieser merkwürdigen Sekte, um Rassam und mich zu ihrem regelmäßigen Hauptfest einzuladen. Der Vizekonsul konnte die Einladung nicht annehmen; ich aber ergriff begierig die Gelegenheit, Festlichkeiten mit anzusehen, denen noch kein Europäer je beigewohnt hatte. Es handelte sich um Feiern, von denen sich Mohammedaner wie Christen die seltsamsten Dinge zuflüsterten; man vermischte dabei die Gebräuche der Jezidi mit denen der sogenannten Assyrer in Syrien und schrieb ihnen Orgien zu, die den Jezidi den Beinamen «Verlöscher des Lichts» eingetragen hatten. Die Vorurteile der Be­wohner des Landes sind auch auf die Reisenden übergegangen. Man hat die Mysterien der Sekte auf den angeblich von Semiramis gerade in denselben Gebirgen, in denen sie wohnt, eingeführten Gottesdienst zurückgeführt -einen Gottesdienst, der, unrein in seinen Formen, zu jeder Ausschweifung in Vollust und Liederlich­keit ausarten sollte. Das ruhige und gelassene Benehmen der Jezidi und die Reinlichkeit und Ordnung in ihren Dörfern geben gewiß keinen Anlaß für diese Anklagen. Der Respekt und die Furcht, die sie bekanntlich vor dem bösen Urwesen haben, hat ihnen den Titel «.......» eingebracht. Viele Erzählungen bezüglich der Embleme, unter denen sie diesen Geist darstellen sollen, sind im Gange. Einige glauben, daß ein Hahn, andere, daß ein Pfau von ihnen angebetet werde; aber ihr Gottesdienst, ihre Lehrsätze und ihr Ursprung waren ein großes Geheimnis, dessen Aufklärung ich mir soweit wie möglich angelegen sein lassen mußte.«

 

Weiter schreibt er:

·                    »Scheich Adi ist weit davon entfernt, der Schauplatz der Orgien zu sein, die man den Jezidi nachsagt, den das ganze Tal wird für heilig gehalten, keine vom jüdischen Gesetz (gemeint sind die Zehn Gebote Moses) für unrein erklärte Handlung ist innerhalb des Weichbildes des heiligen Ortes erlaubt.

Alle benahmen sich sehr höflich und gutherzig gegen mich, und nicht ein einziges Mal hatte ich Ursache, meine gute Meinung über die Jezidi zu ändern«

Hier, in diesen kurzen Beispielen, die aus verschiedenen Zeiten stammten und zum Teil unabhängig von einander entstanden sind, wird es sehr deutlich mit welcher krimineller Energie und mit welch ein Hassgefühl man Unwahrheiten und völlig widersprüchliche Aussagen (Propaganda) über diese Religionsgemeinschaft verbreitete und noch verbreitet, um sie zu bekämpfen.

Alleine in dem Ersten Beispiel wird dies sehr deutlich. Zum einen werden sie als „abscheuliche Heiden“ beschimpft, weil sie die Sonne und das Feuer anbeten. Zum anderen werden sie zum Verehrer von Tieren vor allem der Schlange, - die bei Christen und Juden als Abbild des Bösen schlecht hin bedeutet- und einen anderen Mal werden sie als fromme Gottesanhänger, weil sie den Widder verehren, „zum Andenken an dem Propheten Abraham und seinen Sohn“ - denn das ist auch einer der wichtigsten Grundfeiler aller monotheistischen Religionen der Welt und vor allem der islamischen. Der gesamte Text verbirgt von Anfang bis zum Ende eine fülle von Wiedersprüchen.

In solch einer Atmosphäre war es den Êzîdî unmöglich weltoffen zu sein und ungestört ihre Meinung - was die Grundvoraussetzung für eine Selbstbehauptung ist, und ihre Religion zu vertreten.  

Nun zu der Frage: Warum haben sie keine heiligen Gottesbücher und Gebetshäuser?

Hierfür liegen die Gründe für einen Êzîdî auf der Hand und sind allgemein verständlich. Sie hatten zwei Bücher gehabt, das eine “Mesh´afa Reş“ und das andere “Celwa“ genannt. Erstgenanntes Buch beschrieb die Schöpfungsgeschichte und in das andere die religiösen Handlungen, Gesetze und Wegweisungen für die Anhänger dieser Religion. Beide Bücher haben ihre Feinde ihnen mit Gewalt weggenommen. Sie haben für die Verteidigung dieser Bücher viel Blut vergossen und konnten sie dennoch nicht behalten. Die Êzîden sagen, dass die Bücher bedauerlicherweise durch den verräterischen Hinweis eines Anhängers der Priesterkaste den  Feinden in die Hände gefallen sind, und sie gelten seitdem als verschollen.

Ob die Bücher noch existieren oder gänzlich vernichtet worden sind, lässt sich aus heutiger Sicht nicht mit absoluter Sicherheit sagen. Und wenn diese nicht vernichtet worden sind, so wissen die Êzîdî selber nicht wo und in welchem Land sie aufbewahrt werden. Sie wissen nur, dass die Bucher bei einer von zahlreichen Überfällen der Osmanen / Moslems auf ihre Siedlungen, geraubt worden sind.  

Eine „Abschrift“ dieser Bücher ist 1911 von Dr. Maximilian Bittner in Wien (Ostereich) in das Deutsche übersetzt worden und diese sind noch zu bekommen. Es gibt berechtigte Gründe zu der Anahme, dass die hier erwehnten Texte bilige Fälschungen sind. Das hält auch der Autor nicht für ausgeschlossen.

Nach dem für die Êzîdî schmerzvollen Verlust dieser Bücher haben sie keine neuen mehr geschrieben, und deshalb werden die Religionsinhalte weiterhin mündlich an die nachfolgenden Generationen weitergegeben. Das hat zu Folge, dass sich die Mirîd auf Grund mangelnder Informationsquellen sich gegenüber den Priestergruppen vernachlässigt fühlen. Es fällt einem aber angesichts der Verfolgungsgeschichte der Êzîden sehr schwer, den Priestern eine absichtliche Vernachlässigung ihrer Gemeinden zu unterstellen.

Auf die Frage, warum die Êzîdî ihre Lehren nicht wieder niedergeschrieben haben, antwortete das Êzîden-Oberhaupt Mir Tahsin Beg auf dem ersten großen Weltkongress der Êzîdî, Ende Januar 2000 in Hannover wie folgt:

 

»Wir hatten Bücher gehabt. Das eine hieß Mesh’afa Reş und das andere Celwa. Beide haben unsere Feinde uns weggenommen. Danach haben wir keine mehr geschrieben, weil wir Angst hatten, dass auch die geraubt werden könnten. Jetzt sehen wir eine Chance welche zu schreiben, aber das muss mit dem Rat der Êzîdî noch abgestimmt werden. «

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1)  Wir sind heute, was das Thema Toleranz angeht, des Besseren belehrt. Wenn ich an all die Kriege zwischen Christen und Moslems denke dann kann ich mit besten Willen keine Toleranz zwischen sogenannte „Religionen mit göttlichen Büchern“ erkennen. Dazu muss ich nicht mal in das Mittelalter zurückblicken und dabei an die Kreuzzüge von 1095 bis 1291 - eigentlich bis zum heutigen Tage – denken. Ganz zu schweigen von dem ersten Genozid im 20. Jahrhundert, der Vernichtung von Armeniern, anderen christlichen Gruppen (Aramäer, Kaldäer, Assyrer etc.) und Êzîden unter der Herrschaft von moslemischen „Jungtürken“ (bis 1922), wobei mehrere Millionen Menschen auf grausamste und unmenschlichste Weise massakriert wurden. Ungeachtet scharfen Protests seitens der Türkei hat das französische Parlament die Massaker an den Armeniern aus dem Jahr 1915 als Völkermord anerkannt. Die Nationalversammlung verabschiedete dazu am 18. Februar 2001 einstimmig ein Gesetz, das der französische Senat kurz darauf gebilligt hat.

Darüber hinaus liefert die Situation in Israel, der ewige Krieg zwischen Juden, Christen und Moslems und vor nicht all zu langer Zeit, der Bürgerkrieg zwischen Christen und Moslems in Libanon sind hinreichende Beweise für das Gegenteil von Toleranz und Harmonie miteinander. Wie kann man von jemandem Toleranz erwarten, der nicht mal in der Lage ist seinesgleichen zu tolerieren, Menschen, die die gleichen Ideale vertreten. Der Krieg gegen die Kurden, die ebenfalls mehrheitlich vorschriftsmäßig fünfmal am Tag Allah anbeten und ganz im Sinne ihrer Verfolger, seinen „einzig Wahren“ und „letzten von ihm (Allah, Gott) gesandten Propheten“ Mohammed verehren, und der ewige Krieg im Nahen Osten sind weitere Beweise dafür. Von den fast täglichen Massenschlachtungen in Algerien und dem ewigen Terrorkrieg in Irland ganz zu schweigen.

Nicht zuletzt die zahlreichen Verfolgungen und Vertreibungen von Juden in Europa, die das Leben von mehreren Millionen Menschen gefordert haben und ihren grausamen Höhepunkt im christlichen Deutschland unter dem Hitlerregime (1933 bis 1945) fanden, sind weitere felsenfeste Beweise für das Gegenteil von gegenseitiger Toleranz und Nächstenliebe.


 
 

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© Niviskar:  Ferhun Kurt 

 

Die chronologische Geschichte einer leiderprobten, kleinen Religionsgemeinschaft

 

 

 


Einfuehrung des Autors


Einleitung


Kapitel Eins


Kapitel Zwei


Kapitel Drei


Kapitel Vier


Anhang