Kapitel Zwei


 

Eine kurze Reise in die unendliche Leidensgeschichte der Êzîdî


 

»Heger destê te î bi şûrê qetlê bê

Gerek dilê te î bi rahma xwedê bê!«

 

Das heißt wörtlich: „Wenn deine Hände das Henkersschwert führen, so muss dein Herz voll von Gottesgnade sein.“

Das ist einer von vielen Grundlehren der Êzîdî. Sie haben in ihrer Geschichte immer wieder bewiesen, dass sie solche Lehren nicht nur als schöne Worte pflegen, sondern sie haben in der Tat auch danach gehandelt, aber selber haben sie bis jetzt genau das Gegenteil von den Anderen erfahren. Ihre Feinde haben das Schwert gegen sie immer gnadenlos geführt.

Dazu Karl May in seinem Roman „Die Wüste“ (1963) (Schreibweise und Rechtschreibung sind beibehalten)

 

»Mein Name ist Kamek«, begann er. »Ali Bei sendet mich zu euch«

»Kamek? Der Bei hat bereits von dir gesprochen.«

» Wobei hat er mich erwähnt?«   .

»Es würde dir Schmerz machen es zu hören«

»Schmerz? Kamek fühlt niemals Schmerz. Alle Schmerzen, deren das Herz des Menschen fähig ist, habe ich in einer einzigen Stunde durchkostet. Wie kann es da noch ein Leid für mich geben?«

 »Ali Bei sagte, daß du den Miralay Omar, Amed kennst.« Keine falte seines Gesichtes zuckte. Seine Stimme klang ganz ruhig, als er antwortete:

»Ich kenne ihn, aber er kennt mich noch nicht. Er hat mein Weib und meine Söhne getötet. Was hat er vor? Glaubst du wirklich, daß sie kommen werden, um unser fest zu stören?«

»Ich glaube es.«

»Sie sollen uns besser gerüstet finden als damals, wo meine Seele verlorenging. Hast du ein Weib und Kinder?«

»Nein«

»Dann kannst du auch nicht ermessen, daß ich lebe und doch längst gestorben bin. Kennst du Tall Afar? «

»Ich habe davon gelesen«

»Ich will dir meine Geschichte erzählen. Ich wohnte in Mikran (das wird das Dorf Mîrkan gemeint sein) am Fuß des Dschebel Sindschar, als die Türken über uns herein­brachen. Mit meinem Weib und zwei Söhnen flüchtete ich nach Tall Afar, denn ich hatte dort einen freund, der mich bei sich auf­nahm und verbarg. Aber auch hier drangen die Türken ein, um alle Jasidi zu töten. Mein Versteck wurde entdeckt und mein freund für seine Barmherzigkeit erschossen. Ich wurde gefesselt und mit Weib und Kindern vor die Stadt gebracht. Dort loderten die Feuer, in denen wir den Tod finden sollten, dort floß das Blut der Gemarterten. Ein Mülasim stach mir sein Messer durch die Wangen. Hier siehst du die Narben noch. Meine Söhne sahen meine Qual und griffen ihn an. Dafür wurden auch sie gefesselt. Ebenso erging es ihrer Mutter. Man schlug beiden die rechte Hand ab und schleppte sie zum Feuer. Auch mein Weib wurde verbrannt, und ich mußte es mit ansehen.          

  Dann zog der Mülasim das Messer und stach es mir in die Brust. Als ich erwachte, war es Nacht. Ich lag unter Leichen. Die Klinge hatte das Herz nicht getroffen, aber ich wäre trotzdem fast ver­blutet. Ein Chaldäer fand mich am Morgen und verbarg mich in den Ruinen von Kara Tepe. Es vergingen viele Wochen, bis ich wieder aufstehen konnte. Mein Haar war in der Todesstunde mei­ner Angehörigen weiß geworden. Mein Leib lebte wieder, aber meine Seele war tot. Mein Herz ist verschwunden. An seiner Stelle klopft und schlägt ein Name, der Name Omar Amed, denn so hieß jener Mülasim. Er ist jetzt Miralay.«

  Er erzählte das in einem einförmigen Ton, der mich mehr er­griff als der glühendste Ausdruck eines unversöhnlichen Rache­gefühls. Die Erzählung klang so monoton, als würde sie von einem Schlafwandler vorgetragen. Es war schrecklich anzuhören. »Du willst dich rächen?« fragte ich.

»Rächen? Was ist Rache?« antwortete er gleichgültig. »Sie ist eine böse, heimtückische Tat.«

 

Die Êzîdî wissen von 72 Genoziden zu berichten, die ihre Feinde gegen sie geführt haben. Die genauen Umstände kann man aus heutiger Sicht leider nicht mehr schriftlich und detailliert nachweisen. Aber wenn man die Wohngebiete von Êzîdî und ihre geografische Lage betrachtet, dann bedarf es sicherlich keine besonderen Erkenntnisse, um zu erkennen, wie oft das Land Kampfarena verschiedener Großmächte geworden ist und die dort lebende Bevölkerung aufgerieben wurde. Dabei haben sie nicht selten auch große Verluste, sei es der Verlust von Hab und Gut oder  auch des Lebens, hinnehmen müssen.

Es handelt sich hier um das Land, das dem Hauptgebiet der mesopotamischen Ebene, wo die Urkultur der Menschheit begann und die Zivilisation ihrer Geburtsstunde erlebt hat, umfast. Wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass die Bevölkerung eines Landes in dem die Schrift erfunden ist heute mehrheitlich Analphabeten sind, beweist, wie rücksichtslos die fremden Herrscher, nämlich die Osmanen (Türken), Perser und Araber, über diesem Land geherrscht haben und heute noch herrschen. Außer Teile-, Herrsche- und Ausbeute-Politik und als Durchsetzungsmittel Verfolgung und Unterdrückung der Bevölkerung haben sie sonst nichts im Sinn gehabt und auch nicht praktiziert. Auch daran, wie das geschichtsträchtigste Land der Erde systematisch heruntergewirtschaftet wird, kann man sehen, welche Interessen die Herrscher über diesem Land verfolgen, nämlich nur ausbeuten und nichts investieren. Obwohl fast alle biblischen Geschichten ihren Ursprung von hier aus genommen haben, irrt sich dennoch nicht ein einzigster Tourist dorthin. Die Antwort auf die Frage: “Warum“ überlasse ich meinen Lesern.

Wie die Urvölker dieses Landes, bis zur Eroberung durch das islamische/ arabische Heer, unter anderen Herrschahn, wie zu Zeiten von Assyrer, Meda, als Alexander der Großen blitzartig über ihnen herfegte und nach ihm das Römische Reich kam etc. lebten und welche Freiheiten sie, zu jener Zeit, genossen, vermag heute keiner es so genau sagen. Darüber gibt es sicherlich das eine oder das andere Schriftstück, das einem helfen konnte, um sich darüber ein Fantasiebild zu machen. Das ist aber, wie gesagt nur eine Fantasievorstellung. Auch die Schriftstücke der Êzîdî, die vielleicht ein Licht über diese finstere Seite der Mesopotamien und der eigene Vergangenheit werfen könnten sind leider durch die gnadenlosen Verfolgungen und Vernichtungen von Seitens ihrer zahlreichen Feinden verloren gegangen bzw. vernichtet worden. Selbst ihre heiligen Bücher     „Mesafa Reş“ (das schwarze Mesaf) und „Celwa“ (das Buch der Offenbarung) konnten sie nicht mehr retten und sind bis heute verschollen.

Dass die Êzîdî Bücher hatten zeugen die Berichte von A. H. Layard. Er schreibt in seinem Buch “Niniveh und Babylon“:

·                    »...Kawal Jusuf hatte mir bei dem Feste versprochen, mir die heiligen Bücher der Jezidi zu zeigen. Eines Morgens kam er mit dem Geheimschreiber des Scheikh Nasr, dem einzigen Jezidi, welcher die Bücher lesen konnte, und brachte mir einen Band, der aus einigen zerrissenen Blättern von nicht sehr altem Datum bestand...«

  Weiter heißt es: »...Kawal Jusuf sagte mir, dass dem grossen Blutbade, welches der Bey Rahwanduz unter der Secte anrichtete, die Jezidi viele Bücher besessen hätten, die bei der allgemeinen Verwirrung verloren gegangen, oder von den Kurden vernichtet worden seien. Auch gestand er, dass das mitgeteilte nur ein Bruchstück sei, und keineswegs das „Buch“, welches die Theologie und die religiösen Gesetze der Jezidi enthalte, und gab sogar zuverstehen, dass das grosse Werk noch vorhanden sei, und ich bin keineswegs gewiss, ob sich nicht eine Abschrift davon in Baascheikhan oder Baazani findet...« (Schreibweise und Gramethik wurden beibehalten)

Das beweist, dass die Êzîdî die Niederschrift ihrer Geschichte keineswegs vernachlässigt haben und durchaus daran sehr interessiert waren ihre Nachkommen, über ihre Geschichte aufzuklären. Aber wie man es heute weiß, waren ihre Feinde sehr erbarmungslos und haben alle ihre Hoffnungen und Mühen für eine bessere Zukunft immer wieder zu Nichte gemacht.               

Die Vernichtung dieser Bücher, die nur aus purem Hass gegen diese Religion geschah, ist eine nichtwiedergutzumachende Straftat gegen die gesamte Geschichte Mesopotamiens und der Menschheit. Die Vernichtung dieser Bücher hat das Leben unzähliger Menschen gefordert. Der  Verlust dieser Bücher ist ein sehr großer Verlust für die Geschichte Mesopotamiens und eines kleines Volkes, das mit nichts wieder gutzumachen ist.

Mir bleibt leider nicht anderes übrig außer auf die von den europäischen Missionaren, Reisenden und Abenteurer geschriebene Schriftstücke zurückzugreifen, um meine eigene Geschichte und die von meinem Vorfahren zu forschen. Dazu eignen sich nur wenige Bucher von europäischen Schriftstellern, die sich häufig nur zufällig und oberflächlich auch mit dem schmerzlichen Schicksal der Êzîdî befast haben.

Die wenigen Bücher in denen etwas über die Êzîdî geschrieben steht, sind meist selber von Vorurteilen, falschen Zeugnissen und Halbwahrheiten geprägt. Man sieht, dass diese Autoren, ausgenommen Austin Henry, Layard, ihre Informationen und Berichte nicht selber reschhaschiert, sondern sie aus den Vorurteilen, die von den Feinden der Êzîdî verbreitet werden geschöpft haben.

Die Absichten für die ständigen Heimsuchungen der ezidische Gebiete unter der Herrschaft osmanischen Reiches waren nicht immer die Ausrottung demselben, sondern oftmals wurden die Feldzüge gegen sie, auch zum Zwecke der Menschenjagd und zum Füllen ihrer Staatskassen, unternommen.

Austin Henry Layard schreibt über diese Menschenjagden: (Aus dem Buch: Populäre Berichte über die Ausgrabungen zu Niniveh)  

·        »Hier ist zu erwähnen, dass Mohammedaner in ihrem Umgang mit Bekennern eines anderen Glaubens einen Unterschied machen zwischen solchen, die an die heiligen Bücher glauben, und solchen, die keine Offenbarungswerke haben. Zu den ersteren gehören die Christen jeder Benennung, weil sie zwei Testamente angenommen haben, und die Juden, die sich zu einem bekennen. Deswegen können sie mit Christen und Juden in Verbindung sein, Frieden schließen und leben; mit allen anderen kann aber kein Mohammedaner in Verkehr stehen. Keine Zusage und kein Eid, der sie betrifft, ist bindend. Ihnen bleibt nur die Wahl zwischen Bekehrung und dem Schwert, ja, es ist sogar ungesetzlich, von ihnen Tribut anzunehmen. Da man nun die Jezidi nicht als »Meister eines Buches« Betrachte, so sind sie seit Jahrhunderten der Verfolgung von Seiten der Mohammedaner ausgesetzt gewesen. Aus ihnen sind aber auch die Harems der Türken des Südens rekrutiert worden. Alljährlich machen die Gouverneure der Provinzen Expeditionen in ihre Distrikte. Während Männer und Frauen unbarmherzig hingeschlachtet wurden, schleppte man Kinder beiderlei Geschlechts fort und stellte sie in den bedeutendsten Städten zum Verkauf aus. Diese Jährlichen Menschenjagden waren für Beder Khan Bei (kurd.= Bedir xan Begê Mîrê Bothan)  eine Quelle von Einkünften, und es war Brauch bei den Paschas von Mossul und Baghdad, die irregulären Truppen auf die Unglücklichen Jezidi loszulassen – als eine leichte Art, ihre Förderungen wegen rückständigen Soldes zu befriedigen. Noch bis vor wenigen Monaten vor meiner Ankunft war dieses System bis zu einem gewissen Grad in Gebrauch und gab zu Grausamkeiten anlas, denen die des bekannten Sklavenhandels nicht gleichkommen.  .....«

Dazu auch bei Karl May:

»... »Warum verfolgt man euch? «

»Dem Mutasarrif ist unser Glaube gleichgültig. Er hat nur das eine Ziel, reich zu werden. Dazu müssen ihm bald die Araber und die Chaldäer, bald die Kurden oder die Jasidi helfen.«“

Man weiß heute, dass bis in den dreißiger Jahren des 7. Jahrhundert die Kurden noch keine Moslems waren. Erst ab dieser Datum fielen die moslemischen Araber von der Seite Mosul her in Kurdistan ein und ein bis dato andauernder sehr blutiger und vernichtender Krieg zwischen nicht moslemischen Kurden und Moslemheer hat damit begonnen. Das Land wurde verbrannt und Menschen geköpft. Zu beiden Seiten kam es zu zahlreichen Verlusten. Die kurdischen Siedlungen wurden entvölkert und Araber dort beheimatet.

Darauf folgten die ebenso blutigen und sehr verlustreichen Aufstände der Kurden gegen die osmanischen Xelîfa (Kalifen)

Von 685 bis 746 haben die Kurden versucht sich gegen die Zwangsislamisierung zu wehren und stellten sich gegen das Kalifat der Omayyaden, sie erhoben sich um 764 um Mossul.

Von 816 bis 837 beteiligten sich die Kurden an dem religiös motivierten Bauernaufstand des Babakî Xoramî.

Der kurdische Prinz Cahfer (Dschafar) schlug 839 ein Moslemheer des Kalifen im Dasin-Gebirge, musste sich aber 845 einer neuanrückenden Armee beugen.

Die Kurden unterstutzten auch Aufständen von fremden Volkern, so 875 der Sklavenaufstand “Zendj“ in Basra gegen die islamische Aggression mit der Hoffnung gemeinsam dies zu stoppen. Auch diesen gemeinsamen Aufstand haben die Moslems besiegt und blutig niedergeschlagen.

Auch nachdem teilweise die Kurden islamisiert waren gingen die Auseinandersetzungen zwischen ihnen und den Araber weiter. Die Kurden wollten sich nicht einer Fremden Kultur beugen und wenn sie ihre Religion nicht halten können aber zumindest ihre Identität wollten sie um jeden Preis behalten. Auch hier waren die Verluste auf Seiten der Kurden sehr groß.

Der Statthalter von Mossul, Hamdani ließ 906 nach Chr. 5.000 kurdische Familien verfolgen, nachdem sich diese gegen die moslemische Herrschaft erhoben hatten.

Eine Strafexpedition gegen die aufständischen Hakkarî-Kurden wurde 980 nach Chr. von einem Moslemheer unternommen. Nach dem sich die Kurden auf ein Versprechen, dass ihr Leben für den Fall der Kapitulation verschont bleibt, ergaben, wurden sie auf einer 25 km langen Strecke beiderseits des Weges zwischen Mossul und Malatya lebendig gekreuzigt. Tagelang war die Strasse ein Horrorbild von Blut, Tränen und Unmenschlichkeit.

In der kurdischen Chronik „Fers-Nama“ etwa 1107 kann man nachlesen, dass im Zuge der Zwangsislamisierung ca. 500.000 kurdische Familien ihren Leben verloren haben.

Bis zum Eintreffen von Şêx Adî (1075 – 1162 bzw. 64) bei den Êzîdî herrschte ein grausamer Krieg zwischen Êzîdî und Moslems.

Besonders grausam waren die Mongolen gegen die Kurden vorgegangen. Da sie sich, anders als die meisten Bewohner Persiens, von den blutdurstigen und raubsüchtigen Mongolen, die Plündernd über das Land zogen und alles verwüsteten, was sie eroberten, zu Wehr setzten. Die Mongolen unter ihrem  Heerführer Hulagu (1217-1265) gingen gegen sie äußerst barbarisch vor. Sie haben 1245 Şarazur (Sharazur), 1252 Diyarbakir und 1258 Bûxday (Baghdad) verwüstet. Überlebende hat es so gut wie keine gegeben. Das hat ein Exodus der Bewohner von zahlreichen Ortschaften, wie zum Beispiel die Bewohner von Mossul gen Syrien bis nach Ägypten, ausgelöst.

Manche kurdische Führer zogen es auch vor mit den Mongolen zu kollaborieren. Unter ihnen war auch der Emir von Mossul, Bedredin Lulu. Ihm war viel daran gelegen die Adawi-Kurden bei Laliş (Lalisch), die noch einen erbitterten Wiederstand gegen die Mongolen leisteten mit der Hilfe der Letzteren zu besiegen und zu vernichten. Er (der Emir) hatte Angst, dass die Adawi-Kurden, die von Şêx Hasan Ben Adi geführt später gegen Mossul ziehen wurden. Şex Hasan ist 1246 gefangengenomen und in Mosul erwurgt worden. Emir Bedretdin Lulu unternahm 1254 eine neue Strafexpedition gegen die Adawi-Kurden: Düchting zitiert bei Guest in seinem Buch „Stirbt der Engel Pfau?“ wie folgt:

· »Nach einer gewaltigen Schlacht wurden die Adawi-Kurden vertrieben, einige wurden getötet, andere gefangengenommen. Lulu kreuzigte hunderte und exekutierte weitere hunderte. Er befahl, daß die Arme und Beine der Emire abgekackt und vor den Toren Mossuls verstreut werden sollten. Er schickte ebenso Männer aus, die Sheikh Adis Gebeine ausgegraben und verbrennen sollten.«                   

Am Ende dieser Metzeleien hinterließen die Mongolen das einst blühende Kurdistan ökologisch, wirtschaftlich und kulturell verwüstet zurück. Die Bewässerungssysteme waren zerstört und mehr als 80% der Bevölkerung war entweder dem Schwert zum Opfer gefallen oder vertrieben. Auch die verbliebenen waren brutal ausgebeutet und das Handwerk war nahe dem Nullpunkt gesunken und mit dem Handel und Verkehr war es nicht viel anders.

Weiter heißt es bei Düchting:

·      »Eine weitere mongolische Welle tauchte etwa um 1360 mit den Heerscharen Timur Lengs (1336-1405) auf. Wieder erlebte Kurdistan einen Terror- und Vernichtungsfeldzug, wieder wurden insbesondere die nicht-moslemischen Kurden, die Widerstand gegen die Horden Timur Lings leisteten, Opfer der mongolischen Eroberungsfeldzüge. Eine Rebellion in Baghdad kostete beispielsweise allein 100.000 Zivilisten das Leben.«           

Auch diese Mongolische Invasion brachte nicht das Ende der Êzîdî und sie existierten und lebten weiter.

In einem Bericht des arabischen Historikers Maqrizi (gest. 1442) ist über einer erneuten Verfolgung der Anhänger des Şêx Adi geschrieben. (Er nennt die Verfolgten nicht Êzîdî oder Adawi, sondern Sohbetiye = Genossenschaft) darin wird aus den Jahren 1415 berichtet. Verschiedene persische und kurdische Fürsten, die von persischen Theologen aufgehetzt wurden sammelten ein riesiges Heer, das wegen angeblicher sexueller Exzesse in dieser „Sohbetiye“ gegen die Anhänger des Şêx Adi im Hakkari-Gebirge vorrückte. Eine große Anzahl von ihnen wurde umgebracht, andere wurden gefangen genommen und versklavt. Nachdem man das Dorf Scheraliq (Es handelt sich vermutlich um Laliş), wo sich das Grab Şêx Adi befand, eingenommen hatte, machte man das Grabmal dem Erdboden gleich. Die Gebeine des Heiligen wurden in Gegenwart seiner Anhänger verbrannt. Das Grabmal ist gleich nach dem die Kriegsscharen abgezogen sind wieder aufgebaut worden.

Da die Êzîdî wehrend der osmanischen Herrschaft die Regionen an der Grenze zwischen den Osmanen und dem Persien besiedelten, standen sie stets fast ununterbrochen im Spannungsfeld zwischen zwei mit einander arg verfeindeten und gegeneinander Krieg führenden Großmächten.

Wehrend die mehrheitlich moslemischen Kurden sich auf der Seite von den ebenfalls sunnitischen Osmanen stellten und gemeinsam gegen die schiitischen Perser kämpften hielten sich die Êzîdî so gut, wie es ihnen gelingen konnte, bedeckt. Sie haben auf diese Art und Weise bis Ende der 18. Jahrhundert zeitweilig eine Art Unabhängigkeit genossen.

Das bedeutet aber nicht, dass sie gleichzeitig von den Verfolgungen verschönt blieben. Jedes Mal, wenn die Großmächte gerade eine gegenseitige Kampfpause vereinbarten wandten sie sich gemeinsam gegen die Êzîdî und andere nichtmoslemische Volker in Kurdistan.

So auch Sultan Selim I. (1512-1513) ließ 1513  aus Gründen der Spannungen zwischen dem osmanischen Reich und dem schiitischen persischen Reich eine Art Volkszählung unter den Anhänger der Schiiten in seinem Reich durchführen. Daraufhin ließ er alle Männliche zwischen sieben und siebzig Jahren hinmetzeln. Unter die Ermordeten waren auch zahlreiche Zeroaster, Anhängers Zarathustras, Êzîdî und andere nicht muslimische Minderheiten.

Sein Nachfolger Sultan Süleyman II. (1520-1566) war religiös toleranter, vielleicht deshalb, weil er die Erweiterung seines Reiches auf europäischen Boden erreichen wollte und deshalb 1529 Wien belagerte. Es war deshalb für ihn wichtig dabei von anderen Seiten des Reiches nicht gestört zu werden und wollte im Osten Frieden. Um diesen Frieden zu festigen verlieh er 1534 dem Êzîdi-Fürsten, Hussein Begê Dasinî das sincaq (Sindjak) Erbil und das Vilayet Soran zum Lehen.

Einige Êzîdî sind Anfang des 17. Jahrhunderts vor ständiger und immer brutaler werdenden Verfolgungen gegen sie, geflüchtet und haben sich auf der sich 72 km erstreckenden Gebirgsfalte im Şingal-Gebirge, im Westen der Provinz Mosul angesiedelt. Aber auch hier, im Şingal Gebirge waren sie vor ihren Feinden nicht sicher und waren weiterhin den erbarmungslosen islamischen Verfolgungen ausgesetzt.

Der erste Walli (Gouverneur) von Diyarbekir, Melek Ahmed Paşa (Pascha) ging 1640 mit 70.000 Soldaten und bewaffneten Hilfstruppen gegen die Sacheli-Êzîdî des Şingal-Gebirge (Schingal) vor, um sie zu bestraffen, weil sie angeblich die Handelskarawanen und Mekka-Pilger überfallen hatten.

Der Walli von Van, Şamsi Paşa warf 1647/48 einen Aufstand der Êzîdî des Şêxan-Region nieder. Mîrza Beg, der Emir von Şêxan, wurde gefangengenommen und hingerichtet.

Der Nachfolger von Melek Ahmed Pascha, Firani Pascha als Walli von Diyarbekir schickte 1655 eine Mission nach Şingal-Gebirge um von den dort lebenden Êzîdî Steuern einzutreiben. Diese Mission war erfolglos, weil die Êzîdî bereits vor Antritt der Gesandten in den Bergen gefluchtet waren. Die Steuereintreiber mussten diesmal mit leeren Händen zurückkehren.

Auch die europäischen Missionare die katholischen Ordensgeistlichen trugen zur Verfolgung der Êzîdî bei. Nachdem sie von Sultan die Erlaubnis kriegten in Kurdistan zu missionieren sind neben den Christen auch die Êzîdî Opfer der christlichen „Bekehrungswut“ geworden.

Bald mussten sie eingestehen, dass sie bei den von ihren Glauben fest überzeugten und leiderfahrenen Êzîdî keine Chance haben. Außer zwei Êzîdî aus dem Jebel Sim`an, die angeblich früher Şêxs (Scheichs) waren, die 1668 unter dem Absingen einiger ihnen völlig unverständlicher lateinischer Hymnen auf die Namen Peter und Paul getauft wurden, könnten sie kein Erfolg verzeichnen.

Der Walli von Baxdad (Baghdad), Hasan Pascha griff 1715 die Êzîdî von Şingal, um sie angeblich wegen vorangegangener Raubzuge zu bestraffen. Die Bewohner haben sich zunächst nach Xatuniyê (Chatunie oder Khatuniye) zurückgezogen, wo sie nach kurzer Zeit des Wiederstandes kapitulieren mussten. Nach einem Massaker an den Êzîdî übergab Hassan Pascha die Verwaltung des Şingal dem Şêx (Scheich) der Tayy-Araber.

Süleyman Pascha ließ 1752/53 zahllose Menschen aus den Dörfern von Şingal töten.

1743 drang der persische Schah Nadir in die ezidische Gebiete des osmanischen Reiches ein, um den ezidischen Fürsten As zu unterwerfen, der in den Jahren zuvor in westlichen Provinzen  des persischen Reiches eingedrungen war. Nachdem er mehrere tausend kurdische Hilfstruppen - zumeist ebenfalls Êzîdî - rekrutiert hatte, schlug Schah Nadir den Êzîdî-Führer, dieser wollte, denn Angaben zu folge, zunächst Selbstmord begehen, ließ sich dann aber von Schah Nadir zum “Gouverneur“ ernennen. Nach Nadirs Ermordung 1747 fielen die von ihm eroberten Gebiete wieder an das omanische Reich.

Man könnte meinen, dass die ezidischen Feinde in den folgenden Jahren die Verfolgung, Vernichtung und Ausrottung aller Êzîdî zum Hauptziel ihrer politischen Erfolge gemacht haben.

Man kann fast von Vernichtungsfeldzügen im Jahresrhythmus gegen die Êzîdî, insbesondere die im Şêxan- und Şignal-Gebiet lebende Stämme, berichten.

Eimin Pascha, der Walli von Mossul entsandte 1767/768 seinen Sohn mit dem Heer zur Plünderung des Şingal. Dieser forderte von den Bewohnern 1.000 Stück Vieh. Als diese ihm nur 800 Stück geben konnten, ließ er zahlreiche Êzîdî umbringen.

Ein Aufstand Bedagh Begs, dem Emir von Şêxan, in den Jahren 1770/71 gegen die osmanischen Besatzer und den Fürsten Ismail Pascha von Amadiyê blieb erfolglos  und hinterließ erneut große Verluste. Bedagh Beg wurde gefangen genommen und bestraft.

1773/74 ließ der Walli von Mossul Amin Pascha abermals den Şingal plündern. Das ganze wiederholte sich 1779, als er seinen Bruder zur Plünderung von Êzîdî-Dörfer aussandte.

1785 unternahm Abd el Baqî, der inzwischen Gouverneur von Mossul geworden war, eine Strafexpedition gegen die Dennedî-Êzîdî östlich des Tigris. Während seine Truppen die Êzîdî-Dörfer plünderten, wurden er und sein Bruder von einigen Êzîdî überfallen und getötet. Seine Truppen flohen daraufhin nach Mossul.

Um 1785 herum war Colo Beg, Sohn des Bedagh Beg, Emir des Şêxan-Gebietes. Sein Versuch, 1786/87 in gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen dem Pascha von Amedîyê und einigen seiner Verwandten auf Seiten Letzterer einzugreifen, war erfolglos. Colo Beg wurde besiegt und musste in die Berge fliehen. Kurz darauf (etwa 1790) unterlag er auch den arabischen Tayy. Zwölf seiner Anhänger starben bei den Kämpfen, woraufhin Colo Beg die Überfälle auf Tayy verstärkte und alle Angehörigen des Stammes, derer er habhaft werden konnte, umbringen ließ. Ein Jahr darauf ließ Fürst Ismail, der Pascha von Amedîyê, Colo Beg ermorden und ernannte einen seiner eigenen Gefolgsleute, Xancer (Khancar) Beg aus der zweithöchsten Êzîdî-Familie der Basmarîya, zum Emir des Şêxan.     

Bereits 1792 überwarf sich Ismail Pascha aber auch mit Khancar Beg, ließ ihn inhaftieren und setzte ihn durch den Sohn von Colo Beg, Hesen Beg, den er später allerdings ebenfalls hinrichten ließ.

Das Şingal- Gebiet musste nach 1790 erneut unter fast jährlichen Plünderungen leiden.

- 1791/92 überfielen die arabische Tayy Êzîdî-Dörfer in dem Gebirge.

- 1792/93 ließ der neue Walli von Mossul, Mohamed Pascha, das Gebiet plündern und acht  Dörfer niederbrennen.

-1793/94 unternahm Mohamed Pascha eine Expedition gegen die Kleinstadt Mihirkan, geriet  aber in einem Hinterhalt und wurde geschlagen.

- 1794 ließ Suleiman Pascha von Bexdayê (Baghdad) eine Truppe gegen den Şingal ziehen und sechzig Frauen entführen.

Zu einem größeren Feldzug gegen die Êzîdî rüstete um die Jahrhundertwende Abdal al Aziz Beg von Bexdayê (Baghdad), unterstützt von den Araberstämmen der Obayd, Hamdanî und Tayy verwüstete er das Şêxan-Gebiet und zerstörte 25 Dörfer.

Ali Pascha, der inzwischen Walli von Mossul hieß, wollte in seine Fußstapfen treten und beschloss 1802, den Şingal zu unterwerfen. Mit seinen Truppen belagerte er den Nordhang des Gebirges, den Südhang ließ er durch arabische Hilfstruppen bewachen. Mehrere Monate dauerte die Belagerung. In deren Verlauf wurde (1803) eine Reihe von Siedlungen der Êzîdî dem Erdboden gleichgemacht. Die Felder wurden zerstört und sämtlicher Baumbestand wurde abgeholzt. Schließlich mussten zahlreiche Êzîdî die ihnen Schutzgewährenden Berge verlassen und sich verpflichten, ihre Dörfer in der Ebene neu zu errichten. Mehrere Êzîdî-Familien wurden gefangengenommen und als Sklaven verkauft.

1809/10 unternahm der Gouverneur von Bexdayê, Süleyman Qatil, eine neue Expedition in das Şingal-Gebirge, das damals unter der Führung Hussein Dublains stand. Der Gouverneur plünderte die Städte Beled und Mihirkan sowie einige Dörfer im Norden. Eine große Anzahl Êzîdî wurden während des Feldzuges ermordet.

Wie ich bereits anderweitig erwähnte, haben alle kurdische Beys ihre Stärke an die Wehrlosen, wie die Êzîdî und Christen, gemessen, ehe sie sich offensichtlich mit den Großmächten anlegen wollten. So war es mit dem Bey von Rahwanduz nicht anders. Er schickte 1832 seine Streitkräfte gegen die Êzîdî im Şêxan Bezirk und ließ ein Blutbad ohne gleichen unter ihnen anrichten. Dabei wurde auch der Êzîdî-Oberhaupt Mîr Ali Beg zusammen mit vielen seiner Gefolgsleuten gefangen genommen und lebend nach Rahwanduz gebracht, wo sie schwerst gefoltert wurden und anschließend einem Lynchmord zum Opfer fielen. Emir Muhammad Pascha, der Bey von Rahwanduz ließ ihnen die Hände und andere Körperglieder abkacken, weil sie sich nicht zum Islam bekehren ließen. Manche von ihnen, denen er die Hände abhacken ließ, würden frei gelassen und nach Hause geschickt damit auch die übrigen, die ihm noch nicht in die Hände gefallen sind, sich von seinen Grausamkeiten überzeugen können.

Auch A. Henry Layard schreibt darüber in seinem Buch „Auf der Suche nach Ninive“ wie folgt:

  

·      »Noch vor einigen Jahren waren die Jezidi ein sehr mächtiger Stamm. Ihre hauptsächlichsten festen Plätze befanden sich in der Gegend, die ich jetzt besuchte, und im Dschebel Sindschar - einem einsamen, sich in der Mitte der mesopotamischen Wüste erheben­den Gebirge westlich von Mossul. Der letzte unabhängige Häupt­ling der Jezidi von Scheichan war Ali Bei, der Vater des Hussein Bei. Er war bei seinem Stamm beliebt und hinreichend tapfer und ge­schickt im Krieg, um ihn lange Jahre gegen die Angriffe der Kurden und der Mohammedaner aus der Steppe zu verteidigen. Der mäch­tige Bei von Rowandus, der die meisten Stämme der Kurden aus den umliegenden Gebirgen unter sein Banner vereinigt und seit vielen Jahren den Türken und Persern getrotzt hatte, entschloß sich, die von ihm gehaßte Sekte der Jezidi zu vernichten. Die Streit­kräfte des Ali Bei waren weit geringer an Zahl als die seines Geg­ners. Er wurde besiegt und fiel in die Hände des Rowandus-Häupt­lings, der ihn töten ließ. Die Bewohner des Scheichan flohen nach Mossul. Es war im Frühjahr; der Fluß war über seine Ufer getreten und die Schiffbrücke abgebrochen. Einige wenige kamen glücklich über den Fluß, aber eine große Menge von Männern, Frauen und Kindern wurde an der anderen Seite gelassen und versammelte sich dort auf dem großen Ruinenhügel von Kujundschik. Der Bei von Rowandus folgte ihnen. Es begann ein Morden ohne Unterschied der Person, und das Volk von Mossul sah von seinen Terrassen aus das Hinschlachten der unglücklichen Flüchtlinge mit an, die es vergeblich um Hilfe anriefen, - denn beide, Mohammedaner wie Christen, freuten sich über die Ausrottung der ihnen widrigen und ungläubigen Sekte, und kein Arm erhob sich zu ihrer Verteidigung. Hussein Bei, den seine Mutter in die Gebirge gebracht hatte, ent­kam dem allgemeinen Blutbad. Er wurde von den Jezidi sorgfältig erzogen und von Kindheit an als ihr Häuptling betrachtet. «

 

Der Gouverneur von Diyarbakir Reşîd Paşa (Reschid Pascha) unternahm 1837 einen Feldzug gegen die Gebiete östlich von Diyarbakir. Die hier lebende Bevölkerung – hauptsächlich Êzîdî – wurden massakriert und die Überlebende in die Sklaverei verschleppt. Auf den Rückzug unternahm er noch einen Angriff auf Şingal. Die Êzîdî in dieser Region suchten in den Berghöhlen Zuflucht. Die osmanischen Truppen zündeten aber Feuer vor den Höhleneingang an, so dass die in ihnen versteckten Êzîdî qualvoll erstickten.

Nachdem Reşîd Paşa Anfang 1837 an der Cholera starb, trat Hafiz Paşa in seiner Stelle ein. Bereits wenige Monate nach seinem Amtseintritt fiel auch er mit Truppen in den Şingal ein, um die Êzîdî ein für alle mal zu unterwerfen. Als die Êzîdî der Aufforderung, sich zu ergeben, nicht nachgek0mmen sind, begann ein dreimonatiger Kampf. Aus Mangel an Munition mussten die Êzîdî schließlich doch noch aufgeben. Am Ende der Massaker durch Reşîd Paşa in den Jahren 1836 und 1837 waren etwa drei Viertel der im Şingal lebenden Êzîdî umgekommen.

Hafiz Pascha griff 1838 erneut die Êzîdî von Şingal an. Nach mehreren Gefechten gelang es ihm, sie zu besiegen und zu unterwerfen.

Auch der deutsche General Helmut von Moltke, der ab 1835 an der Seite der osmanischen Herrschaft als Militärberater gegen die Kurden und andere Nachbarn der Osmanen kämpfte, berichtet über diese Massaker an den Êzîdî. - An dieser Art militärischer Zusammenarbeit zwischen den Deutschen und Türken hat sich bis heute nichts geändert-.

Unter dem Halbmond; S. 237

»Nach der Eroberung ist hier furchtbar gehaust worden, fast alle Männer wurden niedergemacht, die Weiber und Kinder in Sklaverei fortgeschleppt, weil sie Yezidi waren. «

weiter auf der Seite  261

»Am anderen Morgen rückten wir früh in das neue Lager; alle waren entzückt über einer mächtige Quell, die ein silberhelles Bassin bildet, über große Nussbäume, weite Kornfelder und einen fahrbaren Weg. Das Dorf wurde sofort in Brand gesteckt, ich suchte vergebens dagegen einzureden: man müsse den Flüchtigen Strenge zeigen, denen.... «

Weiter auf der Seite 264 heißt es:

»Ich war währenddessen zu Hafiz-Pascha geritten, welcher das Defilée geöffnet gefunden und dem Kampfe unten von einem kleinen Hügel zusah; dorthin brachte man die Gefangenen und Trophäen; Männer und Weiber mit blutenden Wunden, Säuglinge und Kinder jedes Alters, abgeschnittene Köpfe und Ohren, alles wurde den Überbringern mit einem Geldgeschenk von 50 bis 100 Piastern bezahlt. ... ; der schweigende Kummer der Kurden, die laute Verzweiflung der Frauen gewährten einen herzzerreißenden Anblick.«

 

Auch Layard berichtet von den Grausamkeiten von Reşîd Paşa und Hafiz Paşa, wie folgt:

·          »Bald darauf wurde der Sindschar von Mehemet Reschid Pascha und zum zweiten Male von Hafiz Pascha unterworfen. In beiden Fällen fand wieder ein Blutbad statt, und drei Viertel der Bevölke­rung gingen verloren. Die Jezidi suchten in Höhlen Zuflucht, wur­den aber entweder durch an der Öffnung derselben angezündete Feuer erstickt oder durch Kanonenschüsse vernichtet. «

 

1844 griff der Kurden Bey, Bedir Xan Beg, der Emir von Botan, die Êzîdî im Tur Abdin (kurd. = Tora hevêrka) an, um diese zwangsweise dem Islam zu unterwerfen. Viele Êzîdî wurden inhaftiert, unzählige wurden auch umgebracht. Alleine die zu der Alireşana Klan gehörenden Êzîdî klagten über 50 Opfer.

Insgesamt sieben Dörfer unterwarfen sich und nahmen zunächst zum Schein den Islam als Religion an. Daraufhin hat er als Zeichen seines Triumphes in den Dörfern Moscheen bauen lassen. So ist auch die Mizgeft (kurdische Name für Moschee) von Bacin entstanden. – Diese Moschee ist später von den Êzîdî als Stallung für die Tiere benutz worden. - Sobald er von den Türken verband worden ist, verjagten die Êzîdî den von ihm eingestellten islamischen Vorbeter und blieben (bis auf wenige Familien) ihre alte ezidische Religion weiterhin treu.

Ein weiteres Massaker gegen die Êzîdî, abermals gegen die Bewohner von Şingal, unternahm der Walli von Mosul, Tayyar Paşa, im Oktober 1846. Tayyar Paşa nahm die Beschwerden zahlreicher Êzîdî über zu hohe Steuern zum Anlass einer »Erkundungsreise« in das Êzîdî-Gebiet, um  »sich vor Ort über die Situation zu informieren. «

Austin Henry Layard war mitgereist und hat seinen Augenzeugenbericht über das barbarische Hinschlachten von den armen Êzîdî wie folgt dokumentiert:

 

·      »Zwei Tage blieben wir in Tell Afar. Aus den ärmlichen Vorräten der Bewohner war unsere Verpflegung, so gut es ging, aufgefüllt worden. ... Man brach in die Häuser ein, und eine allgemeine Plünde­rung erfolgte. Endlich am 13. setzten wir unsere Reise fort.

Wir erreichten am nächsten Tage Mirkan, eine der Hauptansied­lungen der Jezidi des Sindschar. Seine Bewohner waren, als Moham­med Pascha das Gebirge besuchte, gewaltigen Erpressungen ausgesetzt gewesen, und viele hatte er hinrichten lassen. Sie erwarteten von un­serer Seite eine ähnliche Behandlung. Ihre Besorgnis ließ sich durch keine Versprechungen beschwichtigen, und sie erklärten ihren Ent­schluß, ihr Dorf auf das äußerste verteidigen zu wollen. Der Pascha schickte einen Offizier seines Hofes mit einigen wenigen irregulären Truppen hinauf, der sie beruhigen und zum Gehorsam bringen sollte. Ich begleitete ihn. Als wir aber das Dorf betraten, empfing uns eine Gewehrsalve. Zwei Reiter, die zufällig - oder, wie es mir vorkam, ziemlich respektlos - dem Offizier und mir vorausgeeilt waren, fielen tot zu unseren Füßen nieder, und verschiedene von unserer Abteilung wurden verwundet. Der Pascha, außer sich über diesen ohne vorherige Warnung gemachten und mutwilligen An­griff, befahl sogleich den Hitas und den arabischen irregulären Truppen, zum Angriff vorzugehen; diese, lange schon nach Raub lüstern, stürzten auf das Dorf los. Es war aber von den Jezidi bereits verlassen, sie hatten ihre Zuflucht zu einer engen Schlucht genom­men, in der sich zahlreiche Höhlen und alleinstehende Felsen be­fanden.

Das Dorf wurde bald in Besitz genommen, man drang in die Häuser ein und plünderte das wenige übriggebliebene Besitztum. Einige alte Frauen und Greise, die man in den kleinen, dunklen Räumen fand und die zur Flucht zu schwach gewesen waren, wur­den ermordet und der Kopf vom Rumpf getrennt. In den reinlichen Wohnungen wurden nun flackernde Feuer angezündet und das ganze Dorf den Flammen übergeben. Der alte grauhaarige Pascha selbst lief stolprigen Schrittes zwischen den rauchenden Brandstel­len umher und schürte sie, wo das Feuer nicht schnell genug um sich griff, eigenhändig an.

Die alte türkische Mord- und Raubsucht war aus dem Schlummer aufgeweckt worden; die Häuser waren bald bis auf den Grund nie­dergebrannt, aber noch waren die Einwohner in Sicherheit. Sobald die irregulären Truppen alles nur auffindbare bewegliche Eigentum an sich gebracht hatten, gingen sie auf die Gebirgsschlucht los, weil sie sich durchaus nicht vorstellen konnten, daß die Jezidi es versu­chen würden, ihnen Widerstand zu leisten. Sie wurden aber mit anhaltendem und gut gezieltem Gewehrfeuer empfangen. Die Vor­dersten fielen fast alle bis auf einen Mann. Die Höhlen lagen hoch in den Felsen, und alle Versuche, sie zu erreichen, schlugen fehl. Bis in die Nacht wurde gekämpft; dann wurden die entmutigten und ge­schlagenen Truppen zu den Zelten zurückbefohlen.

Am Abend wurden die Köpfe der unglücklichen alten Männer und Frauen, die man im Dorf gefunden hatte, in Parade im Lager herumgetragen; und die Glücklichen, die eine solche Trophäe be­saßen, wanderten von Zelt zu Zelt und forderten eine Belohnung für ihre Tapferkeit. Ich wandte mich an den Pascha, dem man vor­geredet hatte, jeder dieser Köpfe gehöre einem mächtigen Anführer, und erhielt von ihm nach einigen Schwierigkeiten die Erlaubnis zu ihrem Begräbnis; aber die Truppen waren nicht willens, seinem Befehl zu gehorchen, und erst spät konnten sie dazu veranlaßt wer­den, die blutige Beute abzugeben, die sie in einer gräßlichen Reihe aufgepflanzt und mit Fackeln beleuchtet hatten.

Am nächsten Morgen wurde der Kampf wieder aufgenommen, aber die Jezidi verteidigten sich mit nicht geringerem Mut. Der erste, der sich in die Schlucht hineinwagte, war der Befehlshaber einer Abteilung von irregulären Truppen, ein gewisser Osman Aga, aus Lazistan gebürtig. Er marschierte kühn an der Spitze seiner Leute vorwärts. An jeder Seite von ihm ging ein Suiter, der seine Kessel­pauke auf der Seite und Fuchsschwänze von der Mütze herabhängen hatte. Er war kaum in die Schlucht hineingetreten, als seine beiden Begleiter von zwei von den Felsen gezielten Schüssen getötet wur­den. Die Truppen stützten vorwärts und suchten die Höhlen, den Zufluchtsort der Jezidi, zu erreichen. Aber wieder wurden sie von ihren unsichtbaren Feinden zurückgeschlagen. Jeder Schuß von den Felsen traf, während die Truppen des Pascha nur aus dem dünnen Rauch, der den Flintenschuß anzeigte, die Stellung der die Schlucht Verteidigenden erraten konnten. Der Kampf dauerte den ganzen Tag, aber wieder ohne Erfolg. Der Verlust der Hitas war sehr be­deutend; keine einzige Höhle hatte man nehmen können, und kein Jezidi war, soweit die Belagerer es angeben konnten, getötet oder auch nur verwundet worden.

 Am folgenden Morgen befahl der Pascha einen neuen Angriff. Zur Ermutigung seiner Leute begab er sich selbst in die Schlucht und ließ seinen Teppich auf einem Felsen ausbreiten. Da saß er, mit dem größten Gleichmut, rauchte seine Pfeife und unterhielt sich mit mir über geringfügige Dinge, obgleich er das Ziel der Schüsse der Jezidi war; mehrere Männer fielen, kaum zwei Meter von uns entfernt, tot nieder, und die Kugeln trieben uns oft den Schmutz in die Augen. Wie gewöhnlich ließ er sich seinen Kaffee bringen, und wenn die Pfeife leer war, wurde sie wieder gestopft. Und er war nicht einmal ein Soldat, sondern ein «Mann der Feder». Ähnliche Fälle von unerschütterlicher Gleichgültigkeit mitten in Gefahr habe ich bei Türken oft gesehen, wie sie von Europäern nicht verlangt und gewiß nur höchst ungern nachgeahmt werden würden. Unge­achtet des von Seiner Exzellenz gegebenen Beispiels und der Ermu­tigung, die die Gegenwart des Paschas den Truppen gewährte, wa­ren sie in ihrem Versuch, die Jezidi herauszubringen, doch nicht glücklicher als am vorhergehenden Tag. Man brachte die Männer einen nach dem anderen tot oder sterbend aus der Schlucht heraus. Die Verwundeten führte man zum Pascha, der ihnen Wasser oder Geld gab oder ihnen Mut zusprach. Der Ordu Kadesi oder Kadi des Lagers führte ihnen zu Gemüte, daß es Ungläubige seien, mit denen sie kämpften; daß jeder, der durch die Hände der Feinde des Pro­pheten falle, zur Belohnung augenblicklich in das Paradies gelange, während jene, die einen Ungläubigen töteten, auf das gleiche Heil Anspruch hätten. Durch seine Versprechungen und Ermahnungen wurden die Sterbenden getröstet und die Kämpfenden ermutigt; er aber ging der Gefahr nach Kräften aus dem Wege und hielt sich hin­ter einem Felsen auf. Der Kerl war ein Fanatiker, und seine selbst­zufriedene Miene, sein gemächlich fetter Wanst hatten in mir Wi­derwillen und Ekel gegen ihn erregt, die durch seine seltsame Aus­legung internationaler Gesetze, welche er in meiner Gegenwart gegen den Pascha aussprach, nicht vermindert werden konnten.  «Wenn ich diesen ungläubigen Jezidi einen Eid schwöre», fragte Seine Exzellenz, «und sie infolgedessen, ihr Leben sicher glaubend, sich ergeben sollten, inwieweit bin ich dadurch gebunden?»  - «Da die Jezidi Ungläubige sind, antwortete der Ehrwürdige, seinen Bart streichend, gehören sie in dieselbe Kategorie wie die anderen Un­gläubigen», hierbei richtete er seine Augen auf mich; «sie begreifen das wahre Wesen Gottes und seines Propheten nicht, mithin ken­nen sie auch das Wesen des Eides nicht. Folglich ist er nicht gültig für sie, und folglich, da keine Verbindlichkeit vorhanden ist, kann er auch Sie nicht binden. Sie könnten sie nicht nur mit dem Schwert umbringen lassen, wenn sie sich Ihnen im Glauben auf Ihren Eid ergeben hätten, sondern es ist sogar Ihre Pflicht als guter Moslem, es zu tun; denn die Ungläubigen sind die Feinde Gottes und seines Propheten. » Hierbei beehrte er mich wieder mit einem deutlichen Seitenblick. Sobald der Erklärer des Gesetzes fort war, hielt es der Pascha für gut, die grausamen Lehrsätze, die ich eben gehört hatte, zu verdammen und mir zu versichern, daß der Kadi ein Esel sei. Dieser Fanatiker, halb Kurde, halb Araber, war ein Beispiel der reli­giösen Oberhäupter, die in Kurdistan und den an seinen Grenzen liegenden Städten wohnen; sie hetzen die Moslems beständig gegen die Christen auf und drängen sie zum Blutvergießen. Daß die ab­scheulichen Ansichten, zu denen sie sich bekennen, von keinem ehrenwerten Türken oder Moslem geteilt werden, brauche ich wohl kaum zu erwähnen; und sie werden hoffentlich - nun die Pforte ihre Autorität in Kurdistan befestigt hat - nicht mehr Veranlassung geben, die christlichen Untertanen des Sultans niederzumetzeln.

Während des Tages wurden Versuche gemacht, die Jezidi zu be­wegen, sich zu ergeben - wie es schien, mit Hoffnung auf Erfolg. Die Nacht brach jedoch herein, und noch immer dauerten die Feindselig­keiten an. Alle bekannten Zugänge der Schlucht waren von regu­lären und irregulären Truppen besetzt. Der Morgen kam, und der Angriff wurde wieder begonnen. Aus dem Tal machte sich kein Zeichen von Verteidigung bemerkbar. Die Hitas stürzten hinein; aber das kräftige Feuer des vorhergehenden Tages setzte nicht mehr ein; sie gingen vorsichtig vorwärts, doch noch immer schienen sie unbeachtet. Jetzt blieben sie stehen, sie fürchteten einen Handstreich oder Hinterhalt. Die Mündungen der Höhlen wurden erreicht; nie­mand widersetzte sich ihnen. Es verging aber doch einige Zeit, be­vor sie hineinzusehen wagten. Die Höhlen waren leer. Während der Nacht waren die Jezidi entflohen und hatten die Schlucht auf einem nur ihnen bekannten Fußpfad, der der Wachsamkeit der türkischen Soldateska entgangen war, verlassen. In den Höhlen fand man nur einige rohe Figuren von Menschen und Ziegen, die aus getrockne­ten, an Stöckchen befestigten Feigen gemacht waren. Diese wurden von den Siegern in Beschlag genommen und als Trophäen, die an­geblich die Götter der (......) darstellten, im Triumph durch das Lager getragen. Nachdem der Pascha sich durch Beratung mit dem Ehrwürdigen von diesem Punkt sattsam überzeugt hatte, befahl der Kadi, die Götzenbilder sorgfältig einzupacken, und schickte sie sogleich als Trophäe und wertvolle Kuriosität durch einen tata­rischen Sonderboten nach Konstantinopel.

Während man nun Versuche machte, den Zufluchtsort der Ge­flohenen ausfindig zu machen, blieb das türkische Lager in der Nähe des Dorfes Mirkan stehen. Ich benutzte diese Gelegenheit, um an­dere Orte des Sindschar zu besuchen. «

Die osmanischen Herrscher haben sich mit der Verfolgung der Êzîdî alleine nicht zufrieden gegeben. Sie mischten sich schon immer auch in ihren religiösen Angelegenheiten ein und versuchten dies für ihre Zwecke  zu beeinflussen.

So setzte z. B. der Gouverneur von Mossul, Helmy Paşa, im Februar 1853 den Oberhaupt der Êzîdî, Mir Hussein Beg ab und nannte dessen Schwager Casim Beg, der sogar aus der Êzîdî-Gemeinschaft „exkommuniziert“ (ausgetreten) worden und deshalb bei ihnen äußerst unbeliebt war, zum Herrscher des Şêxan-Bezirks. Als Casim Beg mit osmanischen Truppen nach Baedri kam, floh Hussein Beg in den Region Şingal. Im Sommer 1853 wurde Hussein Beg aber bereits wieder in sein Amt eingesetzt.

Solche Eingriffe hatten nur ein Ziel und zwar die Spannungen zwischen den Êzîdî zu verstärken um sie so zu schwächen, aber diese Versuche könnten nur scheitern, weil die Loyalität der Êzîdî gegenüber ihrer Religion und dessen Vertreter unermesslich groß war.

1854 lehnte sich der kurdische Fürst Yazdanshir Beg gegen die osmanische Herrschaft auf. Auch er sah, wie alle anderen kurdischen Beys vor ihm seine Hauptfeinde nicht in den Türken, sondern zunächst in den nichtmuslimischen Minderheiten Kurdistans. Er brüste sich, er »wolle das Blut eines jeden Êzîdî, Juden und Christen trinken.« Er bot 100 Piaster für jeden lebenden Êzîdî, der ihm gebracht werde, damit er ihm die Kehle durchschneiden könne. Auch er ist wie seine Vorgänger besiegt worden. Um das erreichen zu können, hat der Êzîdî-Oberhaupt, Mir Hussein Beg es beschlossen gemeinsam mit osmanischen Gouverneuren gegen dem Tyrann vorzugehen. Sie haben ihn 1855 besiegt und unterworfen.

Nach diesen, gemeinsamen Kampf gegen den Feind beider Seiten haben die Êzîdî eine kurze Periode ruhigerer Zeit erlebt.

   Die Osmanen erkannten den Status der Êzîdî als eigene Religionsgruppe an, Mîr Hussein Beg wurde sogar vom Sultan empfangen, der ihm den Titel “Kapi Cuhaderi“ (Hüter des offiziellen Tores) verlieh. Sie sind auch vom Wehrdienst in der türkischen Armee befreit worden. Ihnen ist die Möglichkeit eingeräumt worden sich gegen die Zahlung einer „Ablösungssteuer“ in Höhe von 50 türkische Lira vom Militärdienst befreien zu lassen. Aber 1885 wurde nochmals beschlossen, dass die Êzîdî neben der Zahlung der 50 Lira auch für eine kurze Zeit Wehrdienst leisten müssten. Wehrend die Êzîdî in den Regionen Halab/ Alepo, Diyarbakir  und Van bereit waren dies zu akzeptieren lehnten die Êzîdî in den Provinzen im heutigen Irak, dies ab.  

Aber diese Freihat war für sie nicht von endgültiger Dauer, bereits um 1875 wurde Mîr Hussein Beg unter dem Vorwand, er habe Unfrieden im Şêxan-Bezirk gestiftet,  inhaftiert. Sein jüngerer Bruder Abdi Beg übernahm nun das Amt des Mîrs. Zwei Neffen von Hussein Begs, die diese Unterdrückung nicht mehr erdulden bereit waren, lehnten sich gegen das osmanische Heer. Beide wurden Besiegt und getötet.

Hussein Beg kam 1878 als gebrochener Mann aus dem Gefängnis zurück; ein Jahr später 1879 starb er.

Ein weiterer Teil von Êzîdî (etwa 3000 Menschen) flüchtete 1877 unter der Führung von Ali Beg, einen Neffen Mîr Mîrza Begs vor osmanische Vernichtungspolitik, in das russische Zarenreich und siedelte sich in der Nähe von Alexandropol an. 1879 und 1882 folgte der Sipkî-Stamm unter Omar Axa und siedelte sich in der damals russisch besetzten Provinz Kars an.

Eine Volkszählung des Jahres 1897 ergab, dass etwa 15.000 Êzîdî in den russischen Gebieten Transkaukasiens lebten. 1916 wurde ihre Zahl auf etwa 40.000 geschätzt.

In den Jahren 1891/92 kam es erneut zu einem Vernichtungsfeldzug gegen die Êzîdî im osmanischen Reich. Die Zahl der Êzîdî war inzwischen auf weit unter einer Million Menschen geschrumpft und es hat zunächst danach ausgesehen, dass das ihr endgültiges Ende sei.

Im Frühjahr 1891 brachte eine aus einem Offizier und zwei moslemischen Mullahs (Prediger) bestehende  Delegation  aus Istanbul die Botschaft nach Mossul, der Sultan Abdul Hamid (1876-1909) habe beschlossen, dass die Êzîdî moslemischen Ursprungs seien und zum „wahren“ Glauben zurückkehren müssten; gleichzeitig wurde ihnen zu Last gelegt, dass sie auch die Wehrsteuer der beiden letzten Jahre nicht gezahlt hätten. Im Juli 1891 ist die gesamte Êzîdî-Führung nach Mosul zitiert worden, wo man ihnen die Beschlüsse mitteilte. 22 von ihnen, darunter auch Mîr Mîrza Beg, wurden gezwungen die ihnen, wegen der blauen Farbe, verbotener Uniform anzuziehen.

Am 19. August 1892 verlangte General Omar Vahbi Paşa, der bis zur Ankunft der nächsten Gouverneur, die Herrschaft in Mesopotamien/ Irak inne hatte, dass die Êzîdî den islamischen Glauben oder zumindest eine der vom Koran erlaubten Buchreligion annehmen müssten, ansonsten werde er sie vernichten. Ein Viertel der anwesenden Führer der Êzîdî weigerte sich, der Rest, unter ihnen auch der Mir Mîrza Beg, sprach die Worte des moslemischen Glaubensbekenntnisses aus. Der „überglückliche“ General telegrafierte daraufhin in die Hauptstadt Istanbul, mehrere tausend Êzîdî-Familien insgesamt 1,1 Milionen Personen seien Moslems geworden. Als Belohnung für ihren Übertritt wurden Mîrza Beg und sein Bruder Badi Beg den Titel „Paşa“ verliehen und ihnen wurde obendrein noch ein jährliches Gehalt von 2.000 Piastern zugesichert.

Mîrza Begs Bruder Ali Beg, der es abgelehnt hatte sich bekehren zu lassen wurde verhaftet und im Gefängnis gefoltert. Unterdessen hatten sich über 100 religiöse Führer an den französischen Vizekonsul Siouffi gewandt und diesen um Hilfe gebeten, wobei sie auch in ihrer verzweifelten Lage andeuteten, dass sie eher bereit seien zum Christentum zu konvertieren als unter solchen Umständen zum Islam gezwungen zu werden. Siouffi erklärte, er werde sein bestes tun.

Im September 1892 war der neue Gouverneur Osman Pascha in Mossul angekommen. General Omar Vahbi Paşa, der auch als Ferik Paşa bekannt ist, (sein wahrer Name war Michael Latas, war gebürtiger Österreicher und als Oberleutnant in Bosnien wegen einer dienstlichen Zurücksetzung zu den Türken desertiert, Mohammedaner geworden und angeblich wegen seiner „Tüchtigkeit“ in kürzester Zeit zum General befördert worden) unternahm eine „Strafexpedition" in die Êzîdîgebiete. Unterstutzt durch die arabischen Şammar und moslemische Kurden drang man in die Şingal- und Şêxanregion ein und drohte, alle Êzîdî zu ermorden. Zahlreiche Dörfer wurden zerstört, Hunderte  Êzîdî wurden ermordet, noch mehr gefangengenommen. Auch das Heiligtum des Grabes Şêx Adîs in Laliş wurde durch die Truppen Omar Vahbis besetzt.

Der General ließ das Heiligtum plündern. Das allerheiligste Sincaq wollte er nach Mossul schicken. Er raubte auch eine Hammelfigur aus Bronze, eine Stab und zahlreiche andere Gegenstände, die von einer Reihe Heiliger stammen, da diese sich „im kaiserlichen Museum sehr gut  machen“ würden. Auf Geheimnisvollerweise verschwanden aber diese Gegenstände bereits im Hauptquartier des Heeres. Der General Omar Vahbi hat innerhalb des Heiligtums von Şêx Adî eine islamische Lehranstalt (Medresse) eingerichtet. Er hat die Êzîdî gezwungen das ihnen verbotenes Wort auszusprechen, wobei viele von ihnen das Wort wie „Sultan“ aussprachen. Er zwang sie auch am moslemischen Freitagsgebet teilzunehmen.

Inzwischen hatte man in Istanbul von den Exzessen Omar Vahbis erfahren. Seitens der europäischen Missionare und Konsulen wurden dagegen Proteste eingelegt. Am 9. Dezember 1892 setzte Sultan Abdul Hamid den General Omar Vahbi ab; Anfang 1893 wurde er nach Istanbul zitiert. Die Situation im Şingal und Şêxan blieb aber weiterhin spannungsgeladen. Die Şamar-Araber weigerten sich das geraubte Vieh wieder an die Êzîdî zurückzugeben. Bereits im Oktober 1893 begannen neue Kämpfe, schließlich war der militärische Führer der Êzîdî, Sofuk Axa, zu Verhandlungen bereit. Die Êzîdî erhielten die Glaubensfreiheit zurück; eine starke osmanische Besatzungstruppe blieb aber bei Stadt Şingal stationiert.

Die Êzîdî hatten zwar von nun an „Religionsfreiheit“ aber der Preis dafür war für sie unermesslich hoch: Die Êzîdî mussten zu lassen, dass islamische Schulen in ihren Dörfern errichtet wurden. Das Grab Şêx Adîs blieb für insgesamt 12 Jahre ein islamisches Derwischkloster mit angeschlossener Lehranstalt.

Mîrza Beg und die anderen prominenten, die zuvor unter massivem Druck zum Islam konvertierten, kehrten wieder zum ihren alten Glauben zurück und sie dürften auch die ihnen gewährte Privilegien behalten. Der tapfere Ali Beg, der zuvor so standhaft seiner Religion treue geblieben war, musste ins Exil nach Kastamuni in Nordanatolien.

Am Ende hatten die Êzîdî wieder „Glaubensfreiheit“ aber ihre Zahl war stark dezimiert. Einige Stämme  z. B. der Êzîdî-Führer Hasanê Qenco und sein Stamm, in dem Bezirk Batman, blieben Moslem. Die Êzîdî im Jebel Simman blieben ihrer Religion treu; sie mussten jetzt aber Wehrdienst leisten. Die meisten ezidischen Soldaten wurden in den Jemen geschickt und kehrten von dort nie wieder zurück.

Den Posten des Gouverneurs von Mossul erhielt schließlich Mustafa Nurî Paşa. Dieser verhielt sich im Gegensatz zu all seinen Vorgängern der Êzîdî gegenüber  friedlicher. Er beseitigte die von Omar Vahbi Paşa in Şêx Adî errichtete  „Medresse“ und gab das Heiligtum an die Êzîdî zurück. 1905 veröffentlichte Mustafa Nurî Paşa eine Broschüre über die Religionsgemeinschaft der Êzîdî, die allerdings voll von Vorurteilen ist und zur Weiterverbreitung und Zementierung zahlreiche falscher Meinungen über die Êzîdî beitrug.

Die Demütigungen der Êzîdî gingen aber in voller Härte weiter. So wurde Mîrza Beg mehrfach aufgefordert, seine Verbindung mit dem Islam zu erneuern oder er wurde sein jährliches Gehalt verlieren. 1899 starb Mîrza Beg. Sein Bruder Ali Beg war 1898 aus dem Exil zurückgekehrt und wurde jetzt zum Emir gewählt. Die osmanische Verwaltung beschränkte seine Autorität jedoch auf religiöse Angelegenheiten. 1913 wurde Ali Beg umgebracht; Des Mordes wurden zwei Angehörige der zweithöchste Êzîdîsippe der Basmarî, die Anfang des 17. Jahrhunderts von der bis heute herrschenden Çolfamilie entmachtet worden war, bezichtigt. Die Angebliche Mörder und ihre Angehörige wurden zur Strafe umgebracht.

Nachfolger Ali Begs wurde dessen minderjähriger Sohn Said Beg. Um die Regentschaft kam es;  leider wie es in der Vergangenheit so oft bei solchen Gelegenheiten der Fall war, auch diesmal, zwischen Mayan Xatun und ihrem Bruder zum Streit. Dabei bat jeder von ihnen jeweils bei einen fremden Herrschaft um Unterstutzung gegen den Anderen. Wehrend Mayan Xatun bei den Engländern um Unterstutzung bat, gleichzeitig versuchte ihrer Widersacher und Bruder Îsmail Beg diese bei den Russen zu bekommen.

Diese Streitereien dauern teilweise noch bis zum heutigen Tag an und machen die übrigen Êzîdî sehr traurig, über diesen Zustand. Die Letzteren haben, längs damit begonnen, ihre religiöse und weltliche Führung deswegen auch laut zu kritisieren.

Unter dessen dauerten die Massaker gegen die Êzîdî im osmanischen Reich an. Ab 1911 wurden diese, Angesicht den bereits erkennbaren Zerfall des Reiches durch den Einfluss des Islams verstärkt. Insbesondere der Divisionsgeneral Farik Paşa, der sich als Befehlshaber einer neuen islamischen Eroberungswelle sah, unternahm zahlreiche Massaker gegen die Êzîdî und andere nichtislamische Minderheiten.

In der Zeit von 1911 bis 1918 hat sich die ohnehin stark geschwächte Zahl der Êzîdî noch einmal halbiert.

In dieser Zeitspanne hat auch der heute als der erste Völkermord des 20. Jahrhundert bekannte Holocaust gegen Armenier und andere christliche Religionsgemeinschaften seinen Höhepunkt erreicht. Zu dieser Zeit wurden mindestens 2 Millionen Menschen Armenier und andere Christen massakriert. Dieser Holocaust war staatlich gelenkt und das Ziel war, die Ausrottung aller Armenier und andere nicht moslemische Minderheiten. Obwohl die Êzîdî nicht namentlich auf der Ausrottungsliste aufgeführt waren, wurden sie dennoch Opfer des islamischen Fanatismus. Oft genug sahen die örtlichen Behörden in den Maßnahmen gegen die Christen eine willkommenen Anlass, wieder einmal auch mit den Êzîdî abzurechnen. Mindestens 600.000 Êzîdî wurden bei diesem Genozid umgebracht.

Obwohl es bekannt war, dass auch diejenigen gnadenlos verfolgt werden, die den „ungläubigen Flüchtigen“ Schütz bitten, haben die Êzîdî im Tur Abdin und im Şingal in einer selbstopfernden Aktion geschafft, mehrere tausend Menschen christlichen Glaubens zu retten. Die Flüchtlinge wurden in eigenen Häusern und in den Verstecken, die früher in bedröhlichen Zeiten auch von den Êzîdî immer wieder benutzt würden, versteckt bis die Gefahr vorüber war.

Ich hatte in diesem Zusammenhang das Glück gehabt, noch mit mehreren Augenzeugen dieser Zeit zu sprechen und sie erzählten alle, unabhängig von einander aber übereinstimmend, dass man die auffälligen Kleider der Christen gegen die typische ezidische Bekleidung getauscht habe, um so der Gefahr zu entgehen, dass sie auf ersten Augenblick erkannt werden. Etwa 20.000 verfolgte Armenier wurden im Bereich des Şingal aufgenommen und so vor der zentral gelenkten systematischen Vernichtung gerettet. Beim Şingal half man, unter der Führung von Hamo ê Şero, weiteren 60.000 von der osmanischen Armee gefangengehaltenen Armenier. Als die türkischen Behörden von den Êzîdî unter Îsmaîl Beg die Auslieferung der Armenier verlangten, weigerten diese sich, den Forderungen nachzugeben. Die Boten, die den Befehl über die Auslieferung der Armenier an die Êzîdî überbracht hatten, wurden ohne Kleider zurückgeschickt.

Im Februar 1918 wurden daraufhin türkische Verbände unter Enver Paşa und Hilfstruppen der immer noch loyal zum osmanischen Reich stehenden Araber zu Bestrafung der „Rebellen“ in den Şingal geschickt. Die Êzîdî griffen die Regierungstruppen in der Nähe von Stadt Şingal an; Der Angriff blieb aber erfolglos, wieder einmal mussten die Êzîdî in die Berge fliehen und dort auf Unerstützung warten. In den Engländern, die vom sich auflösenden osmanischen Reich die Rolle der Kolonialmacht im südlichen Mesopotamien übernahmen, nahte wenig später diese Hilfe.

Sobald die Gefahr vorüber war kehrten die Christen in ihren Dörfern zurück bzw. wanderten, wie die Êzîdî von heute, in die weite Welt aus.

Der erste Weltkrieg (1911 bis 1918) brachte auch das Ende der osmanischen Herrschaft mit sich. Die Teilung von osmanischem Reichsgebiete wurde endgültig beschlossen und der Vertrag ist am 10. August 1920 in Sevres (Frankreich) unterzeichnet worden. In diesem Vertrag wurde dem kurdischen Volk eine Autonomie versichert. Die Siegermächte haben diese Zusicherung mit dem Vertrag von Lausanne (24. Juli 1923) verworfen und stattdessen haben sie die endgültige Teilung des kurdischen Landes beschlossen und damit die Verfolgung aller Kurden, einschließlich Êzîdî bis in ewigen Zeiten besiegelt und die Folgen sind bis zum heutigen Tag Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung. Als Durchsetzungsmittel wird die kurdische Bevölkerung und ihre Städte von herrschenden Regimes nicht selten auch mit Giftgas und anderen Massenvernichtungswaffen angegriffen und vom Himmel bombardiert. Die schrecklichen Bilder von Halebja (von 16. März 1988) hat mittlerweile jeder mindestens einmal und mehr gesehen. An diesem Zustand hat sich bis heute nichts geändert, die Kurden sind dazu selber zu schwach und die übrige Welt hat keine Lust und auch kein Interesse daran etwas zu ändern.

In den Augen von Großmächten, die das Land unter sich geteilt haben, waren und sind heute noch die Bodenschätze, die aus dem Land der Kurden ausgebeutet (ausgeraubt) sind und werden wichtiger als das Leben der Kurden, die man bis jetzt dafür geopfert hat und weiterhin opfern will. Und Angesicht dieser Tatsachen wird ihnen auch das schmerzliche Schicksal von solchen kleinen Gruppen, wie die Êzîdî nicht das Geringste interessiert haben und wahrscheinlich ihnen auch in Zukunft egal sein.

 

 
 

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© Niviskar:  Ferhun Kurt 

 

Die chronologische Geschichte einer leiderprobten, kleinen Religionsgemeinschaft

 

 

 


Einfuehrung des Autors


Einleitung


Kapitel Eins


Kapitel Zwei


Kapitel Drei


Kapitel Vier


Anhang