Kapitel Eins


 

 

Die Feste


Die Êzîden feiern im Jahr viele religiöse Feste. Einige habe ich bereits erwähnt. Die Êzîden ermitteln die Zeiten für ihre Feste nach einem eigenen Kalender. Der Kalender beginnt 14 Tage später als der neuzeitliche Kalender. Also, für den Êzîden fängt am 14. der Monat an und endet auch am 13. des darauf folgenden Monats.

1. Batizmî: Das heilige Fest der Çêlka Êzîden, zu Ehren von Pîr Ali. Das Fest wird eine ganze Woche lang gefeiert. Ein bis zwei Wochen vor dem Fest verteilen die Pîrê Pîr Ali ein Stück selber hergestellte Hefe unter ihren Gemeindemitgliedern. Damit wird das Brot für die Toten und die Sewik für das Fest gebacken.

Am Sonntag (wer es eilig hat auch Samstag) ist Waschtag, man reinigt den Körper und wäscht die Wäsche.

Am Montag und Dienstag wird den Toten gedacht. Tiere werden geschlachtet und Brot wird gebacken. Das Fleisch und das Brot wird unter den Dorfbewohnern und Armen verteilt.

Am Mittwoch ist Schlachttag. Jede Familie schlachtet ein Tier oder mehrere für dieses Fest, seit Monaten gemästete Tiere. Ein Tier wird vorher für Pîr Ali gekennzeichnet und von dem Fleisch werden sieben Stücke aus der rechten Seite und dem Rücken entnommen und ungesalzen gekocht.

Am Donnerstag ist Şîlan, oder auch Êwara Lekma genannt. Das Brot für das Fest wird gebacken. Das Brot für das Fest wird Sewik gennant. Die Speisen Reis, Aprikosensuppe und Mehîra Rehb, manche nennen es auch Danika Rehb, werden gekocht und zusammen mit gegrilltem Fleisch den Gästen serviert. Gegen Abend, vor Sonnenuntergang, werden die Speisen zum Hause des Micêwir getragen: die sieben gekochten Fleischstücke zusammen mit sieben Sewik und einer Schüssel voller Rosinen in der aus Leinen geflochtene und in Öl getauchte Dochte angezündet werden. Der Micêwir nimmt sich seinen Teil davon und den Rest bringt man wieder zurück nach Hause. Zu Hause werden die Sachen in dem Raum gestellt und alle Personen im Haus sammeln sich um die Lichter und beten für sich und ihre Angehörigen um Schutz und Gesundheit für die bevorstehende Lebenszeit. Nachdem die Lichter ausgebrannt sind, wird das ganze abgeräumt. Ein Teil von dem Essen wird unter den armen Personen / Familien im Dorf verteilt und Rest wird für die nachfolgenden Zeremonien in den Tagen danach aufgehoben.

Donnerstag ist auch Besuchstag. Alle Dorfbewohner besuchen sich gegenseitig. Ganz besonders macht dieser Tag den Kindern Spaß. Sie gehen von Haus zu Haus und bekommen Süßigkeiten und Obst geschenkt. Nach dem sie alle Häuser des Dorfes abgeklappert haben kehren sie wieder vollbeladen und glücklich nach Hause. Auch arme Menschen aus anderen Dörfern kommen und gehen von einem Haus zum nächsten und bekommen einen Xêr (fromme Gabe).

Von Donnerstagabend bis Freitagmorgen sollte man nicht schlafen. Diese Nacht wird „şevrohnk“ genannt, was soviel wie helle Nacht bedeutet. Um die Zeit besser zu überbrücken, gönnen sich die Jugendlichen häufig einen Spaß. Sie verkleiden zwei junge Männer, einen als Kalik und den anderen als Pîrik (Opa und Oma) und gehen von Haus zu Haus und bekommen wieder eine kleine Summe Geld geschenkt. Dafür sprechen sie ein kleines Gebet aus:

Serê salê binê salê xwedê Ewladekî bide Kebanîya vê Malê.“ Übersetzung: „Gott möge am Jahresanfang und am Jahresende der Herrin dieses Hauses ein Kind schenken.“ Das Geld teilen sich die Jugendlichen am Ende.

Freitag ist Schlaftag. Jeder sollte sich von dem Stress der vergangenen Tage erholen.

Am Samstag ist Arbeitstag. An dem Tag wird wieder aufgeräumt und wenn noch Rohfleisch übriggeblieben ist, dann wird es verarbeitet, damit es für die nächste Zeit haltbar wird.

Am Sonntag werden die „Serî û Pê“ gekocht, und es gibt wieder eine fettige Mahlzeit. Ein Gericht das aus Kopffleisch und Innereien zubereitet wird.

Während dieser gesamten Zeit herrscht bei den Çêlka Êzîden eine festliche Stimmung. Dafür sorgen die Musiker, die häufig extra eingeladen werden. Das ganze Dorf ist fröhlich am Tanzen und Spielen u. s. w.

2. Çilxana Zivistanê (Vierzig Tage fasten im Winter, die letzten 20 Tagen von Dezember bis 20. Januar, nach ezid. Kalender). Diese Fastenzeit ist nicht für jedermann Pflicht, nur die frommen Êzîden und die Priester, Feqîr, Baba Şêx etc. nehmen diese strenge Fastenzeit auf sich. Sie dürfen vierzig Tage von Tagesanbruch bis Sonnenuntergang nicht essen und auch nicht trinken. Am 40. Tag wird gefeiert.

3. Çilxana Havînê (das gleiche wie Nr. 2 noch einmal im Sommer und zwar die letzten 20 Tagen von Juni bis 20. Juli, nach ezid. Kalender)

4. Xidilyas, auch Xidir Elyas genannt. Das Fest wird im Februar gefeiert und ist für alle Völker Mesopotamiens heilig. Auch die Christen und Moslems feiern das Fest. Man fastet drei Tage vor dem Fest. Für das Fest werden sieben verschiedene Getreidesorten geröstet und gemahlen. Am Abend vor dem Fest stellt man das Mehl an eine saubere Ecke im Haus. Man glaubt, dass Xidir Elyas die Häuser besucht und als Zeichen seines heimlichen Besuches mit der Hand ein Zeichen im Mehl hinterläst. Am Festtag wird das Mehl aus gerösteten Getreiden mit einer süßen Flüssigkeit, z. B. Traubensaftsirup vermengt zu faustgroßen Kugeln gerollt und gegessen. An diesem Tag dürfen die Êzîden keine Tiere schlachten und sollen möglichst auch weite Wege meiden. Der Tag nach dem Fest wird Xidilnebî gennant.

6. Tuwafen Welat Şêx: Diese Feste finden im Frühling statt und werden nur in dem Gebiet von Şêxan gefeiert. Die Gläubige besuchen die heiligen Stätten. Dort wird mit Speisen als Opfergaben der Toten gedacht. Nicht alle umliegenden Dörfer feiern gemeinsam, sondern nacheinander, aber alle nehmen an den Feierlichkeiten teil. Das Ganze wird mit Musik und Tänzen gefeiert.

7. Çarşema Sor (roter Mittwoch) Mittwoch ist für die Êzîden, der wöchentliche arbeitsfreie Tag. Es gibt viele Gründe dafür, dass Mittwoch von den Êzîden heilig gehalten wird und auch für sie generell Feiertag ist.

Am ersten Mittwoch im April (das erste Mittwoch nach 13.April, (n. Ch.) erreichten die Sonnenstrahlen die Erde und damit begann das Leben auf ihr. Deshalb feiern sie an diesem Tag das heiligste Fest, das Neujahrsfest Çarşema Sor (der rote Mittwoch), rot deswegen, weil vermutlich die ersten Sonnenstrahlen den Himmel rot werden ließen. Das Fest wird auch das Fest von Taus î Melek genant. Das ist das allerheiligste Fest der Êzîden.

Darüber hinaus ist auch Şêxê Melek Fexreddîn am ersten Mittwoch im April erschienen und wieder fortgegangen. Wie ich bereits erwähnt habe, wird aus dieser Gruppe von Şêx das geistliche Oberhaupt der Êzîden bestimmt.

Das Fest wird wie folgt gefeiert: Noch anfang April werden für das Fest einige Vorbereitungen getroffen. Man pflückt verschiedenfarbige Blumen um sie am Festtag von Außen an Schwellen von Haustüren zu befestigen. Als Befestigungsmittel wird nasse Erde genommen. Das wird noch im April vorbereitet, weil man im April die Erde und Vegetation nicht stören darf. Am Dienstag, einen Tag vor dem Fest, werden Eier bunt bemalt, Joghurt gemacht, manche machen Käse, und auch Milchreis wird gekocht.

Am Mittwoch wird gefeiert. Die Kinder gehen von Haus zu Haus und bekommen bunte Eier geschenkt. Joghurt und Käse werden unter den Nachbarn und Armen im Dorf verteilt. Die bunten Blumen werden an den Haustürschwellen befestigt. Auch Erwachsene besuchen sich gegenseitig und bekommen bunte Eier geschenkt. Musiker spielen pausenlos auf ihren Instrumenten fröhliche Lieder und die Gläubigen stimmen es mit ihren Traditionstänzen ab.

Erwachsene und Kinder spielen miteinander um ihre bunten Hühnereier. Dabei hält man sein Ei mit der schmalen Spitze nach oben in der Faust, während ein Anderer mit derselben Seite seines Ei darauf schlägt. Wessen Ei dabei kaputt geht, der hat das Spiel verloren.

Am Freitag gehen die Melkerinnen in die Wälder, um den Hirten eine bestimmte Mahlzeit zu bringen und die Tiere zu melken. Dabei wird das erstgemolkene Tier gekennzeichnet. Das Tier wird „Peza serekêş“ (das Leittier) genant. Die Melkerinnen nehmen einem Hirten den Stock weg, mit dem er die Tiere treibt. Dieser Streich bringt dem Hirten Glück und seine Tiere werden alle gesund bleiben. Auch werden die Schalen von den Eiern in den Getreidefeldern zerstreut. Das soll eine reiche Ernte bringen.

Aber das aller wichtigste bei diesem Fest ist die Versöhnung. Alle Streitereien zwischen Êzîden sollen an diesem Tag beigelegt werden. Und Unstimmigkeiten zwischen den Gläubigen müssen am roten Mittwoch behoben werden.

8. Basimbar: Das Fest wird im April gefeiert. An diesem Tag wird den Kindern ein aus zwei Fäden - weißen und roten - zusammengeflochtener Strick um das Handgelenk und um den Hals gebunden. Der Faden wird auch auf die Getreidefelder gebunden. Das soll den Kindern Glück und der Familie eine gute Ernte bringen.

9. Cemayîa Şerfedîn: Das Fest wird im August über mehrere Tage am Grab von Şerfedîn mit Musik und Festessen gefeiert. Für das Mahl sorgen die zahlreichen Teilnehmer mit ihren Opfermahlzeiten. Viele opfern auch Tiere und versorgen die übrigen Gäste mit Fleisch und anderen Gerichten. Dem Micêwir von Qûba Şerfedîn werden auch kleine Geldsummen gespendet, die er zum Teil für sich und den Rest für den Erhalt der Grabstätte ausgibt.

10. Cemayîa Şîxadî. Das ist das größte Fest am Grab von Şêx Adî, es findet alle Jahre vom 06. bis 13. Oktober statt und an dem sollten, wenn möglich, alle Êzîden teilnehmen. Aber die politische Lage in dieser Region machte es ihnen unmöglich dies zu tun.

Wie das Fest gefeiert wird können wir von Layard erfahren, der vor etwa hundertfünfzig Jahren (1848 bis 1852) während einer Reise daran teilgenommen hatte und seine Eindrücke so gut wie kein Anderer vor ihm und auch nach ihm festgehalten hat. An die Vorgehensweise der Zeremonien dürfte sich bis heute nichts geändert haben.

»Der allgemeine Hergang bei dem Feste zu Scheikh Adi und das Ansehen, welches das Thal bei dieser Gelegenheit hat, habe ich bereits so vollständig beschrieben, dass ich mich auf eine Schilderung der Ceremonien beschränken darf, die mir das erste Mal nicht zu sehen gestattet waren.

Etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang rief Kawal Jusuf mich und Hormuzd, dem ausser mir allein der Zutritt gestattet wurde, in den innern Hof oder das Allerheiligste des Tempels. Wir erhielten unsern Platz in einem Zimmer aus dessen Fenstern wir alles sehen konnten, was in dem Hofe vorging. Die Kawals, Scheikhs, Fakirs und vornehmsten Häuptlinge waren bereits versammelt. In der Mitte des Hofes stand eine eiserne Lampe mit vier Brennern, ‑ eine einfache Schüssel mit vier Schnauzen für die Dochte, die auf einer spitzen Eisenstange befestigt war. Bei derselben stand ein Fakir, der in der einen Hand eine brennende Fackel hielt, in der andern ein grosses Gefäss mit Oel, aus dem er von Zeit zu Zeit die Lampe wieder füllte wobei er den Scheikh Adi laut anrief. Die Kawals standen an der Seite des Hofes an der Wand und stimmten ein langsames Lied an, wobei einige die Flöte, andere das Tamburin spielten und den Tact mit ihren Stimmen begleiteten. Die Scheikhs und Häuptlinge bildeten nun paarweise eine Procession1). An ihrer Spitzer ging Scheikh Dschindi. Er trug eine hohe, rauche, schwarze Pelzmütze, deren Haare weit über den obern Theil seines Gesichts herabhingen. Ein langer Rock mit horizontal laufenden schwarz und rothen Streifen fiel bis zu seinen Füssen hinab. Ein strengeres und zugleich imponierenderes Gesicht als das des Scheikh Dschindi kann sich die lebhafteste Einbildung nicht leicht vorstellen. Ein Bart, schwarz wie Pech, wallte auf seine Brust herab; seine dunkeln durchbohrenden Augen leuchteten durch die struppigen Augenbrauen, wie glühende Kohlen  durch die Stangen eines Feuerrostes. Die Farbe seines Gesichts war das dunkelste Braun, seine Zähne waren weiss wie Schnee und seine Züge, obwohl über alle Massen streng, ausserordentlich edel und wohlgebildet. Es war ein Sprichwort bei uns, dass man Scheikh Dschindi noch nie habe lächeln gesehen, und man fühlte, wenn man ihn ansah, dass es ihm unmöglich war, zu lachen. Wie er jetzt mit einem langsamen und feierlichen Schritt einherging, und die flackernde Lampe den Schatten seines ernsten und rauhen Antlitzes noch mehr verdunkelte, konnte man sich kein Wesen denken, das mehr geeignet war, bei den einem bösen Wesen geweihten Ceremonien die oberste Leitung zu führen. Er ist der „Pîsch‑ Namaz“2) odor Vorbeter bei der Secte der Jezidi. Hinter ihm gingen zwei ehrwürdige Scheikhs. Diesen folgte Hussein Bey und Scheikh Nasr und diesen die übrigen Häupter und Scheikhs. Ihre langen Gewänder waren alle glänzend weiss. Während sie so langsam herumgingen, bald stehen blieben, bald wieder in gemessenem Schritte sich weiter bewegten und Gebete zu Ruhm und Ehre der Gottheit sangen, begleiteten die Kawals den Gesang mit ihren Flöten und schlugen in einzelnen Zwischenräumen auf die Tamburins. Um die brennende Lampe und in dem durch die Prozession gebildeten Kreise tanzten die Fakirs in ihren schwarzen Kleidern, mit langsamen, nach der Musik gemessenem Schritte, wobei sie hin und wieder nach Art der Tänzer in östlichen Ländern, die Arme emporhoben und, eben so anständige als zierliche Stellungen annahmen. Den Hymnen zu Ehren der Gottheit folgten andere zu Ehren des Melek Isa und Scheikh Adi. Die Gesänge gingen in ein munteres Zeitmass über, die Tambourins wurden häufiger gerührt die Bewegungen der Fakirs wurden lebendiger, die Frauen erboben ein lautes Tahlil und die Ceremonie endigte mit einer Scene voll Lärm und einer Aufregung, wie ich bei Beschreibung meines ersten Besuches zu schildern versucht habe. Als die Gebete beendigt waren , küssten die, welche an der Prozession theilnahmen, im Vorübergehen die rechte Seite der Thüre, die in den Tempel führte, wo an der Wand das Bild einer Schlange ist; aber nicht, wie mir versichert wurde, das Bild selbst, welches, wie mir Scheikh Nasr und Kawal Jusuf sagten, durchaus keine Bedeutung hat. Hussein Bey stellte sich dann auf die Schwelle dieses Eingangs und nahm die Huldigung der Scheikhs und Aeltesten entgegen, die jeder die Hand des jungen Häuptlings mit der ihrigen berührten und an ihre Lippen führten. Hierauf gaben sämmtliche Anwesende einander den Friedenskuss. 

Nachdem die Ceremonien so beendigt waren, kamen Hussein Bey und Scheikh Nasr zu mir und führten mich in den innern Hof. An der Thempelthüre  waren für mich und die beiden Häuptlinge Teppiche ausgebreitet; die Scheikhs, Kawals und Vornehmsten der Secte setzten sich oder kauerten vielmehr an den Wänden hin. Beim Lichte einer Lampe, die einen düstern Schimmer im Tempel verbreitete, konnte ich sehen, wie Scheikh Dschindi seine Kleidung ablegte. Während der Gebete wurden Priester an die Thüre als Wache gestellt, und Niemand, ausser einigen Frauen und Mädchen der Eingang gestattet. Die Frauen und Töchter der Scheikhs und Kawals hatten freien Zutritt zu dem Gebäude und schienen an der Ceremonie theilzunehmen.

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Am folgenden Morgen, bald nach Sonnenaufgang hielten die Scheikhs und Kawals im Tempel ein kurzes Gebet, wobei jedoch keine von den Ceremonien des letzten Abends wiederholt wurden. Einige beteten innerhalb des Heiligthums, wobei sie oft, die Schwelle und die heiligen Stellen in dem Gebäude küssten. Als sie geendigt hatten, nahmen sie die grüne Decke vom Grabe des Scheikh Adi, und gingen mit dieser um den äussern Hof herum, wobei ihnen Kawals, welche das Tamburin oder die Flöte spielten, folgten. Die Uebrigen drängten sich heran und führten ehrerbietig einen Zipfel der Decke an ihre Lippen, worauf sie ein kleines Opfer an Geld hinlegten. Nachdem hierauf die Häupter und Priester die Decke wieder über das Grabmal geworfen hatten setzten sie sich im innern Hofe in einen Kreis zusammen. Jetzt kamen die eigens dem Dienste des Heilighums gewidmeten Fakirs und  Scheikhs, Kotschek genannt, aus den Küchen des Tempels, mit grossen flachen Schüsseln dampfenden Harisa, welche sie auf den Boden stellten. Die Gesellschaft sammelte sich in hungrigen Gruppen um die Schüsseln, und während sie assen, riefen ihnen die dabei stehenden Kotscheks mit lauter Stimme zu, sie möchten nur die Gastfreundschaft des Scheikh Adi in Anspruch nehmen. Nachdem die geleerten Schüsseln wieder weggenommen waren, wurde zum Unterhalte des Tempels und des Grabes des Heiligen eine Collecte gesammelt. Es ist auch Gebrauch, dass alle Familien, die zu dem jährlichen Feste kommen, dem Scheikh Nasr irgend ein Gericht als Opfer schicken. Von diesen Steuern kostet er bloss, um zu zeigen, dass er sie annimmt, worauf sie von den Dienern des Heiligthums vertheilt worden.

Diese Ceremonien nahmen unsere Aufmerksamkeit bis gegen Mittag in Anspruch; dann setzten wir uns bei dem Brunnen im Thale nieder, wo Männer und Frauen vor uns tanzten, während die Knaben auf die Bäume kletterten und sich an die Aeste hingen, um die Tanzenden besser sehen zu können. Später wurde Zucker, Datteln und Trauben preisgegeben, um die sich die Kinder balgten. Bald nahmen auch die Männer an diesem Scherze theil.

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Abends wurden dieselben religiösen Ceremonien im Tempel wiederholt, und ich durfte in dem Zimmer über dem innern Hofe schlafen, von wo aus ich am Abend vorher zugesehen hatte. Nachdem sich Alle zur Ruhe begeben, recitirte der Mullah3), in tiefem singendem Tone, eine religiöse Geschichte oder Abhandlung, deren Inhalt die Abenteuer und Lehren eines gewissen Mirza Mohammed bildeten. Er stand vor der brennenden Lampe, und um ihn herum streckten sich auf dem steinernen Pflaster, mit ihren weissen Röcken bedeckt, die schlafenden Scheikhs und Kawals. Die Seene, war äusserst malerisch und machte einen eigenthümlichen Eindruck.

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Ein Stamm der Jezidi, die Kaidi, vollziehen folgende merkwürdige Ceremonie, die sehr alt sein soll, und welche wir am Tage unserer Abreise von Scheikh Adi mit ansahen. Alle welche euerwaffen besitzen, steigen auf die den Tempel überragenden Felsen, wo sie kleine Eichenzweige in die Mündung ihrer Flinten stecken und diese dann in die Luft abfeuern. Fast eine halbe Stunde lang unterhalten sie ein Lauffeuer, worauf sie in den äussern Tempelhof herab­steigen und ihre Waffen wieder ablegen. Beim Eintritte in den innern Hof führen sie vor Hussein Bey, der von den Priestern und Aeltesten umgeben, an den Stufen des Heiligthums steht, einen kriegerischen Tanz auf. Nach Beendigung des Tanzes wird ein von den Häuptlingen geschenkter Stier aus dem Tempel hinausgeführt. Mit lautem Geschrei stürzen sich die Kaidi auf das Thier, ergreifen es, und führen es in Triumph zu Scheikh Mirza, einem der Häupter der Secte, von dem sie ebenfalls ein Geschenk erhalten, gewöhnlich ein Schaf. Während dieser Ceremonie stehen Männer, Frauen und Kinder gruppenweise an den Seiten der Thalschlucht, manche auf den mit Holz bewachsenen Terrassen, andere auf  hervorragenden Felsen und Rändern, während die Knaben auf die hohen Bäume klettern, von wo aus sie die Sache besser übersehen können. Die Frauen lassen ihr Tahlil ertönen und das Thal hallt von dem betäubenden Lärme wieder. Die langen weissen Gewänder, die sich unter den grünen Bäumen hin und her bewegten, zwischen denen wieder einzelne Gruppen in bunter Kleidung sassen, nahmen sich sehr hübsch aus und gaben der Scene ein eigenthumliches Leben.«

(Schreibweise und Grammatik wurden beibehalten)

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1) Diese Zeremonie wird „Sema“ genannt und ist eine für die Gläubige sehr heilige Zeremonie, an dem nur bestimmte Würdenträger (Priester) teilnehmen dürfen. Im Jahr werden sieben solche Zeremonien abgehalten.

Das sind:

1. Semaya Qanunî,

2. Samaya Gavanê Zerza,

3. Samaya Bilind,

4. Samaya Şêx-Şems,

5. Samaya Şerfedîn,

6. Semaya Maka Êzî und

7. Samaya Merkeba.

 

2) An dieser Stelle handelt sich vermutlich um einen Übersetzungsfehler. Die Êzîdî haben keine „Pîsch‑ Namaz“, sondern „Peş Îmam“.

3) Die Êzîdî haben auch keine Priester, die „Mullah“ heißen, das muss sich um einen Fehler handeln. Der  Autor hat den Namen der moslemischen Vorbeter gebraucht um einen Priester der Êzîdî zu erwähnen.

  

11. Rojîyê Şêşims

 

12. Rojîyê Xwedana

 

13. Rojîyê Êzîd. (1)

 

Drei Wochen hinter einander, jeweils drei Tage, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag wird gefastet und am Freitag gefeiert.

Rojîyê Êzîd sind für jeden Gläubigen absolut Pflicht. Ausgenommen sind nur diejenigen, die aus bestimmten Gründen nicht in der Lage sind, z. B. wer krank ist, oder gerade Wehrpflicht leistet.

Das Fest muss nach ezidischer Richtung am ersten Freitag im Dezember sein. Also, nach 13. Dezember (Chr. Zeitrechnung) gefeiert werden. Die erstgenannten beiden Feste werden zwar vorher gefeiert, aber ihre Zeit wird ebenfalls nach dem Letzten festgelegt, so dass alle hinter einander gefeiert werden.

Auch das Çêlka Fest für Pîr Ali findet immer in der zweiten bzw. dritten und vierten Woche,  je nach der Region aus der die Gläubigen stammten, nach diesen drei Festen statt.

 

14. Hîda Belinde

Das Fest wird in der Şêxan-Region Ende Dezember Anfang Januar gefeiert.

Es gibt noch einige andere Feste, die nicht mehr groß beachtet werden. Z. B. Zîpik, sieben Tage (vier davon im Februar und drei im März).

Es gibt noch ein Fest, das Seydik genannt wird und nur von den Bewohnern des Tur Abdin gefeiert wird. Dabei werden Äste von einem bestimmten Baum, der in dieser Region wächst und sehr angenehm riecht, verbrannt. Dabei werden die Düfte freigesetzt und verteilen sich in den Räumen. Das soll Segen bringen.

  

 
 

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© Niviskar:  Ferhun Kurt 

 

Die chronologische Geschichte einer leiderprobten, kleinen Religionsgemeinschaft

 

 

 


Einfuehrung des Autors


Einleitung


Kapitel Eins


Kapitel Zwei


Kapitel Drei


Kapitel Vier


Anhang