Kapitel Drei


 

Die Schulbildung der Êzîdî


 

»Noch unter der Militärherrschaft wird eine neue Verfassung erarbeitet, die durch ein Referendum am 10. August 1982 angenommen wird und noch heute in Kraft ist. Nach den Verfassungen von 1924 und 1961 ist sie die restriktivste und unterdrückendste für die Kurden. Um die kurdische Identität zu ersticken und auszulöschen, wurden alle dazu nötigen Artikel entsprechend geändert. Außerdem wurden einige Artikel aus dem Strafgesetzbuch direkt in die neue Verfassung übernommen, um zu verhindern, daß Unstimmigkeiten zwischen der Verfassung und dem Strafgesetzbuch entstehen. Damit wurde aus einem Verstoß gegen das normale Gesetz eine Verletzung der Verfassung ‑ eine völlig neue Qualität der Kurdenverfolgung. Ein Beispiel: Artikel 26. Er verankert das Recht auf freie Meinungsäußerung ‑ im ersten Satz. Dann aber heißt es: »Bei der Äußerung oder Verbreitung von Meinungen darf keine durch Gesetz verbotene Sprache verwendet werden. Gegen dieses Verbot verstoßende, geschriebene oder gedruckte Papiere, Schallplatten, Ton‑ oder Videobänder sowie andere Ausdrucksmittel werden aufgrund einer verfahrensmäßig ergangenen richterlichen Entscheidung, oder bei Gefahr im Verzuge auf Anordnung einer durch Gesetz ermächtigten Behörde eingesammelt.« Die verbotene Sprache heißt im Klartext: das Kurdische. In der Tat darf die Meinung frei geäußert werden, aber der Kurde muß dies auf Türkisch tun. Dazu kommt, daß für dieses Verbot eine richterliche Entscheidung nicht notwendig ist. Jede Regierungsbehörde kann die Verbreitung kurdischer Texte unter dem Vorwand verbieten, daß »Aufschiebung Gefahr im Verzuge bedeute«. Ein 1983 nachgeschobenes, ebenfalls noch unter der Militärherrschaft erlassenes Gesetz verbietet sogar den Gebrauch der kurdischen Sprache im Alltag. Das Türkisch wird zur >Muttersprache< erhoben. Zuwiderhandlungen werden mit einer ein‑ bis dreijährigen Haftstrafe geahndet.«

Zitiert bei Michaela Wimmer, Joachim Spiering, Bernhard Michalowski; Brennpunkt: Die Kurden, Ein Volk kämpft um das Überleben; München 1991 

Im Klartext bedeutet dies, dass die Kurden in dem Land, in dem sie geboren sind nichtmall ihre Sprache, die sie seit Menschen auf dieser Erde leben sprächen nicht sprächen dürfen, weil sie den Türken nicht gefällt und sie darin eine Gefahr für sich sehen. Nicht selten werden die kurdische Kinder gerade wegen diesen Verbots von den Schullehrern brutal verprügelt, wenn er sie dabei erwischt, dass sie mit einander auf die einzigste Sprache, die sie von ihren Eltern gelernt haben und die sie auch als einzige verstehen, sprächen.

Manche behaupten, dass die Êzîdî freiwillig auf die Schulbildung verzichteten, weil ihre Şêx`s (Scheikh) es ihnen verboten haben. Diese Behauptung ist so nicht richtig. Die Êzîdî hatten immer die Erlaubnis gehabt sich bilden zu dürfen, wenn der Lehrstoff und die Lehrkräfte dafür geeignet waren.

Die Êzîdî waren erfahrungsgemäss den Moslems gegenüber sehr misstrauisch. Jedes Mal, wenn sie einen Moslem bei sich aufgenommen haben hat er ihre Frauen bzw. junge Mädchens entführt1) oder dies versucht. Die Lehrer versuchten die Kinder zum Islam zu bekehren. Letzteres soll auch ein wichtiges Gebot für jeden Moslem sein und steht angeblich auch in dem Koran geschrieben. Außerdem wären auch die Moslems ihrerseits auf keinen Fall bereit die Êzîdî unter sich, in ihren Schulen zudulden. Die Êzîdî, die das wussten wollten und könnten es nicht auf die Probe stellen. Um diesen Gefahr zu entgehen haben die Priester unter dem Volk lediglich die Empfehlung, ihre Kinder lieber zuhause zu lassen anstelle sie in die moslemische Schulen zu schicken in denen nur der Koran gelehrt wird, verbreitet.

Dazu schreibt auch Leyard in seinem Buch „Niniveh und Babylon“:

 

»Ich habe gesagt, dass es bei den Jezidi für unerlaubt gilt, Lesen oder Schreiben zuverstehen. Dies ist jedoch, wie mir versichert wurde, nicht der Fall, und ihre Unwissenheit entsteht aus Mangel an Hülfsmitteln und geeigneten Lehrern. Früher pflegte ein Chaldäischer Diacon ihre Kinder zu unterrichten.«

 

Nachdem eine allgemeine Schulpflicht in den Ländern eingeführt worden ist, in denen die Êzîdî lebten, sind auch sie zu Schule gegangen. In Syrien, im Irak und in der ehemaligen Sowjetunion wurden sie früher eingeschult. Von allen aber waren die Êzîdî in der Sowjetunion am besten gebildet.  

Die Êzîdî in der Türkei waren noch bis Ende der siebziger Jahre zu 95% Analphabeten. Nur wenige männliche Personen waren, - wenn überhaupt-  in der Lage, mit größter Mühe, ein wenig zu lesen. Das waren auch diejenigen gewesen, die wehrend ihrer Zeit bei dem Militär an die Sprachkurse teilgenommen haben, die dort manchmal im Rahmen der „Türkisierungsplan“ der Regierung angeboten werden.

Daran, dass diese Menschen nicht schreiben und auch nicht lesen könnten, ist einzig und alleine der Staat bzw. die Staaten, in denen Êzîdî lebten schuld gewesen.

Die Êzîdî teilten nur das Chickzahl der übrigen Kurden und anderen Minderheiten in diesem Teil der Erde, „Südostanatolien bzw. Mesopotamien“ und auch „die Wiege der Zivilisation“ genannt also, kurdisches Wohngebiet.

Die Türkei wollte mit aller Macht eine nationale Bewusstsein unter den Kurden verhindern und sie war auch der Meinung dass ein Volk, das keine ausreichende Bildung besitzt auch nicht in der Lage sein wird solche Anspruche, wie mehr Menschenrechte und Mitbestimmungsrecht überhaupt Eigenständigkeit zu erheben, bzw. zu stellen.

Ein Grund dafür, dass die Türkei erst mitten der 60er Jahre angefangen hat, auch in den Dörfern Schulen zu bauen und dorthin auch Lehrkräfte zu schicken, daran gelegen haben, dass nach dem die Bundesrepublik Deutschland zuvor angefangen hatte auch in der Türkei um Arbeitskräfte zu werben. Ich glaube die Deutschen müssen auch darüber sehr erstaunt gewesen sein, dass so viele Menschen, unter den Bewerbern, unter ihnen auch viele Kurden, die aus der Türkei zu ihnen kamen, weder schreiben noch lesen könnten geschweige gewusst haben wann sie geboren sind.

Daran könnte auch in Europa keiner mehr zweifeln, dass ihre militärische Partnerin, die Türkei, ihnen die ganze Zeit etwas verheimlicht habe, nämlich, dass sie doch nicht so „großartig“ ist, wie sie sich nach Außen hin zeigen versucht, und dass sie auch mit ihren falschen, faschistischen und rassistischen Politik: „Ein Volk, eine Nation und eine Sprache“ gründlich gescheitert ist, weil sie scheitern müsste.

Da die Türkei diesen Zustand nicht mehr länger verheimlichen könnte und diese betreffenden Fragen, auch wenn sie eifrig bemüht war, nicht beantworten könnte, beging sie endlich mit dem, was sie bis dahin mit Absicht vernachlässigt hatte. Man Baute nach und nach in fast jedem Dorf eine Schule und schickte auch jährlich Lehrkräfte dorthin. In unserem Dorf ist die Schule erst 1973 fertig gebaut worden und in demselben Jahr kam auch ein Lehrer, und siehe da, die bis dahin angeblich lernscheue Êzîdî meldeten ihre Kinder sofort an und bereits im ersten Jahr war das Einklassenraum überfüllt.

In der Türkei dauert die Grundschule fünf Schuljahre. Alle Schuljahrgänge, von dem ersten Schuljahr bis zum fünften, waren alle Kinder in einem Raum zusammen gepfercht. Ein einziger Lehrer war für alle Kinder und Fächer zuständig. Er musste alle Schuler und alle Jahrgänge zusammen in einen Raum unterrichten. Das war nicht immer so, wenn alle etwas Glück hatten herrschte ein Lehrerüberschuss und dann wurde ein zweiter Lehrer zur Hilfe in die überlasteten Schulen geschickt.

Den Lehrern wurde nicht erlaubt länger als drei Jahre in derselben Schule zu unterrichten. Sie wurden regelmäßig ausgetauscht. Nur selten kam ein Lehrer, der auch örtlich wohnte. Sie wurden mehrere Hundert Kilometer geschickt, damit sie nicht von der vorgegebene, staatliche Linie abweichen können. Und das sollte auch die Möglichkeit mit der Bevölkerung Freundschaft zu schließen verhindern. So war es Gang und Gebell, dass die Lehrer in die „rein“ kurdische Dörfer geschickt wurden, die kein Wort kurdisch konnten, wobei auch die kurdische Kinder, die eingeschult wurden ebenfalls kein Wort türkisch konnten.

Man muss die Situation in etwa so vorstellen: Man schickt einen Deutschen Lehrer, der kein Wort chinesisch kann nach China und er soll dort in eine Dorfschule Kinder unterrichten, die wiederum ihrerseits kein Wort Deutsch verstehen. Wenn man solch eine  Situation reichlich durch den Kopf gehen lässt und das Ganze verstehen kann, dann kann man auch nachvollziehen, wie es mit dem türkischen Lehrern und den kurdischen Schülern ergangen ist. An diesem Zustand hat sich auch bis heute nichts geändert, ganz im Gegenteil. Die schulen wurden in dieser Region zum größten Teil wieder geschlossen, weil dort seit 1984 ein schmutziger und barbarischer Krieg zwischen Kurden und türkischen Militärregime tobt. Damit ist auch wieder der Urzustand hergestellt. 

Ich hatte Glück, dass vor mir nicht alle Kinder, die mit mir zu Schule gingen Erstklässler waren, sondern einige von ihnen bereits vorher eingeschult worden waren.

Das war dadurch möglich gewesen, dass in dem Nachbardorf bereits früher (1965) die Schule fertig geworden ist. Und nachdem drei Dörfer ihre Kinder dort eingeschult haben wurde es in der Einklassenraum sehr eng. Deswegen hat man beschlossen auch in unserem Dorf eine Schule zu bauen. Aber die Lehrer wurden in das Dorf geschickt, bevor man mit dem Bau der zukünftigen Schule begonnen hatte. Der Lehrer war da und hatte keine Schule und auch kein Raum in dem er wohnen könnte.

Weil die Êzîdî, aus traditionellen Gründen, verpflichtet sind jeden Fremden aufzunehmen, könnten sie unmöglich einen Lehrer wieder wegschicken. Und der Lehrer könnte und dürfte seinerseits kein Angebot abschlagen, da er sonst entweder inhaftiert oder suspendiert worden wäre. Schnell hat sich das Dorf zu einer Beratung versammelt, dabei haben sie auch eine Lösung gefunden. Einer aus dem Dorf war bereit seine Einzimmerwohnung mit dem fremden Lehrer zu teilen. Und wenn er, der Lehrer, schon da ist, dann muss es für ihn auch möglich sein die Arbeit nachzugehen. Ein anderer Raum musste her, auch das wurde gefunden. Auf diese Weise hat der Ärmste ein Jahr aushalten müssen, bis er von einem anderen Kollegen abgelöst wurde.

Bis die Schule fertig gestellt wurde sind fünf Jahre vergangen. In dieser Zeit haben sich mindesten drei Lehrer ausgewechselt. Und in diesen fünf Jahren musste auch die Klasse fünfmal umziehen, weil die Hausbesitzer länger nicht aushalten könnten. Immerhin haben sie ihre einzige Wohnung ein Jahr lang kostenlos, also ohne Miete zu Verfügung gestellt. Nach fünf qualvollen Jahren war die Schule endlich bezugsfertig. Um in dieser Tragödie etwas Trost zu finden haben manche von den Lehrern sich mit ungewöhnlichen Hobbys beschäftigt. Einer von ihnen hat z. B. Brieftauben gezüchtet.

In dem Jahr, in dem ich eingeschult worden bin, hat auch die erste fünfte Klasse aus unserer Schule ihr letztes Schulzeugnis bekommen und somit wurden sie wieder in die Arbeitswelt entlassen. Die fünfte Klasse bestand aus insgesamt zwei Schülern. Dafür waren aber alleine mit mir noch insgesamt fünfunddreißig Kinder eingeschult worden. Und auch später hat die Zahl der Schuler nicht weniger als fünfundsechzig Kinder im Jahr betragen. Alle, wie bereits erwähnt, in einen Klassenraum.

Dass die Lehrer in dieser Situation sehr häufig die Beherrschung verloren und die Kinder sehr brutal verprügelten war es zwar nicht in Ordnung aber man kann es damit begründen, dass auch sie, wie ihre Schuler, Opfer eines Staatssystems waren, das zeit ihrer Gründung ihren Bürgern (Menschen) nichts anderes angeboten habe außer Verfolgung und Unterdrückung. Deshalb haben die Menschen, auch die Eltern derartige Körperverletzungen, die man normalerweise unter schwerer Strafe stellt, als normal empfunden. Für die misshandelten Kindern blieb nur der Trost, dass auch der Lehrer, der sie so hart bestrafte und verprügelte selbst als er noch Schuler war, das gleiche, was er jetzt mit seine Schützlinge machte erdulden musste.

Prügelstrafe ist auch noch heute in den türkischen Schulen, - zumindest in den überwiegend von Kurden bewohnten Gegenden, erlaubt. Die Lehrer schlagen häufig mit Stocken auf die Handballen von kleinen Schulerhänden bis die Kinder manchmal heulen und ihnen danach die Hände schwellen. Wir könnten häufig nach der Strafe mit den Händen nicht mehr greifen und unseren Stift nicht halten. Wenn der Lehrer keinen Stock in der Hand hatte, dann ohrfeigte er die Schuler. Die Schuler müssten dabei, vorbildlich, wie die richtigen Soldaten natürlich, stramm stehen. Er suchte sich immer einen zähen Baum, aus dem er sein Stock nahm. Zum Beispiel der Granatapfelbaum. Ich persönlich fand nicht die Strafen, sondern die Gründe dafür, die die Lehrer zu den Misshandlungen an die Kinder veranlassten grausam. Ein Grund war beispielsweise der, wenn ein Kind dabei erwischt wurde, das seine Muttersprache, kurdisch sprach. Das Kurdische ist in der Türkei verboten und auch die Kinder mussten sich daran halten, auch wenn diese noch kein Wort türkisch sprechen konnten. Der Lehrer beauftragte zwei Kinder aus der Klasse, die ihn berichten mussten, wenn jemand von ihren mit Freunden kurdisch gesprochen hat. Das Verbot galt auch außerhalb der Schule. Die Lehrer verbieten den Kindern auch mit ihre Eltern kurdisch zusprächen.   

Das fünfte Schuljahr war für die Êzîdî auch das letzte Bildungsjahr. Nach der Beendigung der Grundschule besteht in der Türkei für die Kinder keine Schulpflicht mehr. Nach der Grundschule kommt normalerweise die Mittelschule und dauert drei Jahre, dann das Gymnasium, ebenfalls drei Jahre. Für die Êzîdî war bereit nach der Grundschule das Ende der Schulzeit und damit schulische Bildung.

Dafür, dass die Êzîdî ihre Kinder nicht weiter zu höhere Schulen geschickt haben, werden folgende Gründe gennant:

1.    Die höheren Schulen waren sehr weit, nämlich in den Städten, dorthin mussten die Kinder entweder laufen oder fahren. Das war zum Laufen zu weit und zum Fahren keine Möglichkeit.

2.    Die Êzîdî wollten nicht an den Islamunterricht teilnehmen.

Auch wenn  die Türkei nach Außen hin als nicht religiös und fanatisch gesehen wird, ist in den Schulen dennoch Pflicht Religionsunterricht zu geben (nur über den Islam) und jeder Schuler ist verpflichtet daran teilzunehmen. Aber daran teilzunehmen, wird bei den Êzîdî strenggenommen als eine Sünde gesehen. Auch in der Grundschule mussten wir ständig ein Buch über den Islam in der Schultasche  mitführen und am Freitag daraus über dem Islam lesen. Das Buch hieß „DIN ve AHLAK“ (Religion und Ethik). Darin waren in arabischer und türkischer  Schrift Koransuren geschrieben. Ich habe einmal wissentlich das Buch zu Hause gelassen damit ich nicht lesen muss, dafür habe ich, nach dem der Lehrer es bemerkte, Ärger bekommen. Er hat mich mit einem Stock auf den Fingern so heftig gehauen, bis ich anfing zu weinen und meine Hand ist davon geschwollen. Als mein kleiner Bruder nach mir eingeschult worden ist, stand wieder das Buch auf die Einkaufsliste, die er von dem Lehrer bekommen hatte. Ich habe das Buch nicht gekauft und dafür bekam auch er Ärger. Dann war ich gezwungen es zu kaufen.

3.    Êzîdî wussten von Anfang an, dass ihre Kinder später den Beruf, den sie erlernt hätten, nicht ausüben könnten, weil sie Êzîdî waren. Es war undenkbar geschweige möglich, dass ein Êzîdî Beamter wird bzw. einen Beruf ausüben könnte, den er durch Schulbildung erworben hatte.

Also, wozu denn lernen, wenn man es nicht braucht?

Die Grundschule war zumindest für das männliche Geschlecht wichtig um die türkische Sprache zu lernen, damit sie bei dem Militärdienst deswegen kein Ärger bekommen. Und für das Mädchen war nur dafür die Schulbildung gut um ihre Verwandten, die ihren Militärdienst leisten mussten Briefe zu schreiben und deren Antworten zu lesen.

Also, man kann sagen, dass die Êzîdî, die in der Türkei gelebt haben nicht mehr als fünf Jahre Schulbildung haben könnten und auch nicht mehr brauchten.

Das hat sich in Diaspora gänzlich geändert. Die Êzîdî, die bis zum Ende der 20. Jahrhundert als „bildungsscheu“ galten, haben, trotzt sprachlichen Schwierigkeiten, und ständigen Angst vor Abschiebungen, in wenigen Jahren ihren Platz, in fast alle in Europa für die Zivile Bevölkerung zugänglichen Berufen, eingenommen. Sie ziehen alle Schulklassen mit Erfolg durch und beenden danach erfolgreich ihre Ausbildung. Besonders erfreulich ist es, dass sich immer mehr Êzîdî auf einen Studienplatz in den Universitäten bewerben. Heute gibt es eine Reihe ezidischer Jugendliche, die in deutschen Universitäten in verschiedene Fachbereiche, wie Jura, Betriebswirtschaft, Informatik, Medizin, Finanzamt-Beamte gehobener Laufbahn, Maschinenbau u. s. w. studieren.

In folgenden Berufen sind die Êzîdî heute in Diaspora tätig.

Politik: Die deutsche Abgeordnete des europäischen Parlaments Frau Feleknas Uça (PDS) ist ezidischer Abstammung. Viele von ihnen sind Mitglied bei den deutschen Parteien (Bündnis 90/ die Grünen, SPD, PDS u. s. w.)

Andere sind wiederum Mitglied bei den Menschenrechtsorganisationen (z. B. Gesellschaft für Bedrohte Völker, Amnesty International u. s. w. )  

Industrie: Maschinenbaumechaniker, Angestellte, Qualitätsprüfer, Lagerristen, Kran- und Staplerfahrer, Kfz-Mechaniker und Meister, Elekroinsteleteure und Elektromeister u. s. w.

Kommunikationstechnik: Telekommunikationstechnik, Radio-Fernsehtechnik, Fachinformatiker u. s. w.

Dienstleistung: Verkäufer, Friseure u. s. w.

Gastronomie: in dieser Sparte sind auch viele Selbständig,

Führunternehmen: Bus- und LKW-Fahrer, Taxifahrer und auch Taxiunternehmer.

Baubranche: Maurer, Dachdecker, Baumeister, Arbeiter, Heizungs- und Lüftungsinstallation.

Möbelindustrie: Tischler, Schreiner u. s. w.

Es gibt auch leider unter ihnen welche, die ihr Glück in den verbotenen Branchen suchen und dadurch einen Hauptwohnsitz in den vergitterten und bewachten Gebäuden (Gefängnisse) vorziehen.

Wobei es erwähnt werden muss, dass auch viele dauerhaft arbeitslos sind und somit auf eine langfristige Hilfe vom Sozialamt angewiesen sind. In dieser Sparte fallen alle, die ihnen wegen ihres hohen Alters eine Schulbildung verwährt bleibt und damit auch die Schwelle ins Arbeitswelt nicht schaffen.

Ich möchte dieses Thema mit einer Selbsterfahrung aus der türkischen Grundschule abschließen.

Es war im Dezember 1976, wir waren am fasten, es waren die drei Fastenstage für Êzîd, die für jeden Êzîdî Pflicht sind. Unser Lehrer war Kurde und Moslem. Sein Name war Mustafa Direk, der Sohn von Amer ê Mistefê aus Mizîzex und war mit der Tochter eines Axas, Selim ê Alîk ê Bette, also die Enkelin von dem legenderen Alîk ê Bette Axa verheiratet. Er hatte früher in dem Êzîdî-Dorf Mezrê gewohnt und wusste über die Bedeutung dieser Fastenstage für die Êzîdî Bescheid. Er wusste auch, dass auch die Eltern ihren Kindern erlauben zu fasten, wenn sie es freiwillig tun und wenn die Kinder darauf unbedingt bestehen. Deshalb hatte er zuvor dafür einige Vorbereitungen getroffen. Er kam gleich am Morgen mit einer Schussel voller kleine stucke Hellîl (eine Art Schokolade, die aus Traubensaft gemacht wird) er gab jedem Kind ein Stück davon und zwang es zu essen. Manche Kinder haben sich erst geweigert es zu essen. Er hat sie verprügelt und dann eigenhändig ihnen ein Stück in den Mund gesteckt, die Kinder mussten es runter schlucken.

Nachdem er mit den Kindern fertig würde, ging er durch das Dorf und hat jedermann, den er getroffen hat ein Stuck von dem Zeug ihnen heimlich in Mund gesteckt. Er wüsste, dass die Êzîdî tagsüber nichts Essbarem in ihrem Mund nehmen dürfen, wenn sie am fasten sind.

Das war seine Methode, die Êzîdî zu demütigen und ich werde diese Erlebnisse nicht los.

 

1) Ein Fall hatte so viel Wert, dass es darüber auch in der türkischen Presse berichtet wurde.  In der türkischen Zeitung „Tercuman“ ist ein Artikel über ein ezidisches Mädchen, das von dem bereits verheirateten Dorflehrer  entführt worden ist, erschienen. - Leider ein Teil des Artikels und das Datum sind unleserlich.

Es fängt mit der Überschrift an: „Die Tochter eines ezidischen Şex, Namens Hazar ist mit dem Hochzeitsauto in das Dorf gebracht worden um sie zum Islam zu bekehren aber...

Aber Hazar war erst 17 Jahre alt und müsste ihren Vater zurückgegeben werden.“

Dieser Vorfall ereignete sich in dem Êzîdî-Dorf „Hamduna“ (türk. „Kurukayak“). Daran können sich noch viele Dorfbewohner erinnern.                 

 

 
 

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© Niviskar:  Ferhun Kurt 

 

Die chronologische Geschichte einer leiderprobten, kleinen Religionsgemeinschaft

 

 

 


Einfuehrung des Autors


Einleitung


Kapitel Eins


Kapitel Zwei


Kapitel Drei


Kapitel Vier


Anhang